Kletterblatt 2011 - page 99

Baumkontrollrichtlinie 2011:
„Eingehende Untersuchung“
Baumsicherheit-Baumstatik
Böblingen 22./23. September
Nach vielen E-Mails war es so-
weit. Unser Urlaubsweg nach Süd-
frankreich würde diesmal einen
kleinen Abstecher über Falaise
machen. Da mein Französisch nur
zumEinkaufen reicht, hattemeine
französisch sprechende Frau Ka-
trin die Termine vereinbart. An-
sprechpartner für dieRenovierung
der Kapelle war ein Monsieur Da-
vid Murzin. Der wohnt jedoch
nicht in Falaise und hatte außer-
dem keine Zeit, sich mit uns zu
treffen.Wir solltenuns stattdessen
mit seinenEltern treffen,mit denen
wir dann alles besprechen sollten.
Das hörte sich zuerst einmal nicht
sonderlich interessiert an. Wir
wollten einen Umweg machen, um
das Leben einer Kiefer zu retten
und der eigentlich Zuständige hat
keine Zeit. Unser Gefühl, mit dem
wir uns also gegenNachmittagdem
326-Einwohner-Dorfnäherten,war
dementsprechendnicht euphorisch.
Wir gingeneher davonaus, aufRes-
sentiments zu stoßen: da kommen
zwei Deutsche, um uns etwas vom
Umgang mit Bäumen zu erzählen!
Schließlich liegt Falaise nur etwa
70 km nordwestlich von Verdun,
etwa 20 km hinter dem Frontver-
lauf des erstenWeltkriegesundwar
inbeidenWeltkriegenvonDeutsch-
land besetzt gewesen.
Als sich die Tür des kleinen
Häuschens anderHauptstraße öff-
net, empfing uns einEhepaar Ende
sechzig und bat uns einzutreten.
Es folgte ein kurzes höfliches Ge-
spräch, bevor wir mit Monsieur
Murzin zum örtlichen Friedhof
gingen. Ganz unten, am Rand des
leicht abschüssigen, kleinenFried-
hofs, steht die besagte kleine Ka-
pelle mit der Kiefer. Auch wir sa-
hen, mit Schönheitsreparaturen
war hier nichts zumachen.
Vor ungefähr zehn Jahren hatte
der „Falaisrats d’Argonne“, der hi-
storische Verein des Dorfes, be-
schlossen, die Kapelle als histo-
rischenTeil desDorfes zu erhalten.
Da sich aber nach mittlerweile 80
Jahren keine offizielle Stelle in
FrankreichoderDeutschlandmehr
zuständig fühlte, wollte der Verein
inEigeninitiative dieKapelle origi-
nalgetreu wieder herstellen. Wir
staunten. Der Dachstuhl war zum
Teil eingebrochen, eindringender
Regen hat deutliche Spuren am
Mauerwerk hinterlassen. Die Ka-
pelle selbst war von zwei Seiten
vollkommen zugewachsen und al-
les war bis vor kurzem mit Efeu
undWaldreben überwuchert.
Aber die Kiefer ist toll! Eine sehr
eindrucksvolle Gemeine Kiefer,
keine 15 m hoch, aber ein Brusthö-
hendurchmesser von bestimmt 80
cmund schön breit gewachsen. Der
dicke Stamm berührte tatsächlich
die Natursteinabdeckung auf der
Maueroberseiteundwar dort schon
etwas um den Stein herum ge-
wachsen.
Aber deswegen durfte man doch
den Baum nicht anschneiden. Ich
sprachüber Baumbiologie undüber
die Wundverheilung an Bäumen.
Monsieur Murzin hörte aufmerk-
sam zu und verstand, worum es
uns ging. Schnell hatten wir ge-
meinsam die Lösung für das Pro-
blem gefunden: nicht der Stamm
musste ausgeschnitten werden,
sondernderNaturstein imStamm-
bereich der Kiefer!Wir würden die
Pflegemaßnahme an dieser Kiefer
und einer anderen übernehmen.
UnserRückwegwarmerklichent-
spannter als der Hinweg und beim
Abschlusskaffee in der Küche von
Frau Murzin besprachen wir kon-
krete Pflegemaßnahmen für „un-
sere“ Kiefer. Es war klar, wir wür-
den wiederkommen. Der Abschied
war herzlich.
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