Wie wir später noch sehen sollten, können Viktor
und Volodja mit ihrer Methode die Stämme auch
schräger, dicker und knorpeliger Bäume sehr schnell
und souverän besteigen. Bei einem kleinen Wett-
kampf unter Anwendung beider Aufstiegsmethoden
mussten wir uns schon anstrengen und wir sind
wirklich nicht die Langsamsten. Bei Anwendung der
Doppelseilklettertechnik verlieren wir zu Anfang
manchmal wertvolle Minuten, da wir erst mittels
eines Wurfbeutels eine Wurfschnur in der Krone
platzieren, umdaran das Aufstiegsseil hochziehen zu
können. Nur wenn derWurfbeutel zielsicher mit den
ersten Versuchen den ausgewählten Ankerpunkt
triff und alles passt, hatten wir eine Chance!
Russisches Arbeitsklettern
Das russische Arbeitsklettern in denKronen unter-
scheidet sich nicht allzu sehr von der Doppelseilklet-
tertechnik. Die Sicherung am Arbeitsseil ist etwas
anders. Die russischen Baumkletterer benutzen zwei
übereinander angeordnete Klemmknoten („Prusik“)
zur Sicherung am Kletterseil, einen aus einem di-
ckeren Seil und den zweiten, sozusagen „Reserve-
knoten“, aus einemdünneren.Wir hingegen benutzen
nur einen „Prusik“, was mir jedoch nicht nachteilig
zu sein scheint.
Der zentrale Aufhängepunkt der russischen Klet-
tergurte sitzt recht hoch, das macht das weite He-
rausklettern in die Kronenperipherie inmancher Si-
tuation etwas schwierig. Vielleicht deshalb setzten
Viktor und Volodja beimKronenschnitt oft die Stan-
gensäge ein. Ich erklärte ihnen, dass unsere Auftrag-
geber bei Schnitten imFeinastbereich darauf achten,
dass die richtigen Schnittwinkel eingehalten wer-
den. Dieses ist mit der Stangensäge nicht immer ein-
fach zu bewerkstelligen.
Lutz beschrieb den russischen Kollegen die noch re-
lativ junge Geschichte der Baumkletterei in Deutsch-
land. Da sie auch in Konkurrenz und als Ergänzung
zumvorher üblichenHubsteigereinsatz entstandensei,
müsse sie sich immer auch dem direkten Vergleich
stellenunddaranmessen lassen. Laut Anatolij werden
inRusslandBaumarbeitenüblicherweisenichtmit der
Hubarbeitsbühne gemacht. Das habe keine Tradition.
Vor 30–40 JahrenhättenAlpinistendamit begonnen,
die Bäume in ihrer Art zu pflegen. Und so sei das Klet-
ternbisheutedieüblicheArt, indieBäume zugelangen.
Am nächsten Tag fuhren wir zu einem historischen
Friedhof amAlexanderNevskyKloster, inderAltstadt
am Ufer der Newa. Hier liegen viele berühmte rus-
sischePersönlichkeitenbegraben, vonDostojewski bis
kletterblatt 2011
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Ausland
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