Olaf Florin
FAW, Bachelor of Science
Arboristik
Inhaber der Firma „Olaf Florin
Baum-Garten-Landschaft“
Olaf Florin
schonwar derVormittag entspannt
vorübergegangen. Madame Mur-
zin hatte ein schmackhaftes Mit-
tagessen vorbereitet und obwohl in
Frankreich beim Essen natürlich
nicht gehetzt wird, war nach der
etwas ausgedehntenMittagspause
noch reichlich Nachmittag zum
Arbeiten übrig.
Die zweite, etwas schmalereKie-
fer war nun wirklich zu klein, um
sich zu zweit damit zu beschäfti-
gen. Also hat sichAndreas dieKie-
fer vorgenommen und ich habe be-
gonnen, abgestorbenen Efeu aus
demNachbar-Ahorn zu entfernen
und diesen gleich durchzupflegen.
Während wir diese Bäume bear-
beiteten, trafen nach und nach die
Mitglieder des Falairats ein. Wir
bekamen schon jetzt viel Lob für
unsere Arbeit und unser Engage-
ment. Das steigerte unsere ausge-
sprochen gute Launeweiter und so
haben wir imAnschluss noch Tot-
holz und Waldrebenreste aus drei
weiterenEschen entfernt und zwei
unterständige Bäumemit Blick auf
die langfristige Entwicklung des
Areals gefällt. Alles natürlich in
Abstimmung mit denmittlerweile
vollständig anwesenden, ehren-
amtlichen Vertretern des Dorfes.
Auch DavidMurzinwar eingetrof-
fen. Am Ende dieses Arbeitstages
waren alle zufrieden. Die Dorfge-
meinschaft war begeistert –
schließlich hatte sich das Umfeld
der Kapelle erneut deutlich positiv
entwickelt – und wir drei hatten
das tolle Gefühl, etwas richtig
Gutes gemacht zu haben.
Wenn in Frankreich etwas rich-
tig gut gelaufen ist, dann wird das
mindestens mit einem gemein-
samen Essen gefeiert. Und so gab
es am Abend, alle noch in Arbeits-
klamotten, amgroßen Tisch in der
Stube der Murzins ein kleines
Festessen mit allen Beteiligten.
Zehn Personen ließen es sich gut
schmecken und hatten einen schö-
nenAbend. Als sich die Runde auf-
gelöst hatte und wir wieder mit
Murzins allein waren, erzählten
wir ihnen, dass uns dieGeschichte
dieses Ortes und der Kapelle sehr
beschäftigt hatte und uns beson-
ders dieUnverkrampftheit der Leu-
te hier im Umgang mit der Ge-
schichte aufgefallen war. Darauf-
hin berichtete David ganz unspek-
takulär, wie er als Kind Kriegsma-
terial gesammelt hatte. Das Zeug
lag selbst in den 1970er Jahren
noch überall rum. Monsieur Mur-
zin ergänzte, dass dieses Haus, in
dem wir augenblicklich saßen, im
ersten Weltkrieg das Lazarett der
deutschen Truppen gewesen war
und man bei Gartenarbeiten noch
regelmäßig auf ordentlich vergra-
bene Krankenhausabfälle stößt.
Schließlich setzt Madame Murzin
freundlich lächelnd noch hinzu,
deutsche Bajonette seien nach wie
vor das besteWerkzeug zur Locke-
rung des Gemüsegartens.
Am Sonntag unternahmen wir
noch eine Tagestour auf die
Schlachtfelder von Verdun: zer-
schossene Bunker, von Granat-
trichtern geformter Waldboden
und immer noch erkennbare
Schützengräben mit Stacheldraht
– über 90 Jahre nach Ende des er-
sten Weltkrieges. Alle Unterhal-
tungen drehen sich umdie verwir-
rendenEindrücke, versuchenOrd-
nung zu schaffen zwischen dem
grausamen Kriegsschauplatz ei-
nerseits unddembanalenGemüse-
garten-Bajonett andererseits. Es
wird uns jetzt richtig bewusst, wie
glücklich wir uns schätzen dürfen,
in einem seit 65 Jahren relativ
friedlichen Mitteleuropa leben zu
können. Darin – da sindwir uns si-
cher – unterscheiden wir uns auch
nicht von den meisten Franzosen
dieser Region. Der Unterschied,
der die Eindrücke so verwirrend
gemacht hat, ist, dass wir das, was
es vom Krieg noch zu erleben gib.
nur erleben, wennwir hier herkom-
men. Das ist dann nicht alltäglich,
dochmanmuss aufpassen, dass es
nicht bei einer Touristenbetroffen-
heit bleibt. Die Bewohner des
Schauplatzes – wie die Murzins –
habendieDinge einfach ständig im
Blickfeld, die Verarbeitung gehört
hier zumAlltag, ist omnipräsent.
Nachdempetit déjeuner amMon-
tagmorgen kamdie Stunde des Ab-
schieds. Der Dank für unsere Ar-
beit und unseren Besuch ist herz-
lich und auch wir bedankten uns
für die Gastfreundschaft und die
vielen Eindrücke, die wir mit nach
Hause nehmen dürfen. Jeder von
uns bekommt zum Abschied eine
gut bestückte Verpflegungstüte,
darin auch hochprozentig Selbst-
gebranntes und ein großes Glas
Honig, alles selbst gemacht von
Monsieur Murzin. Was bleiben
wird, ist die Freude, einen kleinen,
aber gutenBeitrag zurRenovierung
der kleinen Kapelle von Falaise
geleistet zu haben und einen wei-
teren kleinen Teil der deutsch-
französischen Verständigung auf
unterster Ebenemiterlebt undmit-
gestaltet zu haben.
kletterblatt 2011
101
Ausland
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