Kletterblatt 2011 - page 37

Nachspannen der unteren
Stahldrahtabspannungen
kletterblatt 2011
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Fällung
Praxis
22.11.2010
Ralph:
Wenn die Sicherheit des Bahnverkehrs ge-
fährdet ist, dannmuss es schnell gehen. Also fuhr ich
sofort nachHirschhorn/Neckar, nachdemmich Sieg-
fried Bürkle von Grüntec informiert hatte, dass dort
dringendeineFichte gefälltwerdenmüsse, die ansons-
ten den Bahnverkehr stören könne.
Treffpunktmit SiegfriedBürkle undThomasFinger,
Serviceleiter der Deutschen Bahn, war der Parkplatz
am Schloss oberhalb des Neckars, von dem aus ein
kleiner unbefestigterWeg in einenWald führte. Nach
ca. 200Metern erreichtenwir den betroffenen Baum.
Ich war bereits vorgewarnt worden: große Fichte,
problematischer Standort am Steilhang, Riss im
Stamm, lehnt imNachbarbaum. Das hörte sich nicht
gut an. Als ich dann vor demBaum stand, sah es eher
noch schlimmer aus. Die Fichte war gute 35 Meter
hoch und hatte einen BHD von 1,20m. Auch der Steil-
hang war keine Übertreibung gewesen. Wir hatten
bereits Mühe gehabt, zu Fuß den Baum zu erreichen.
Der Boden - eine Mischung aus Humus und Geröll -
war sehr locker, zudemlagenvereinzelt größereFelsen
imHang. DasHauptproblemwar aber die nahe, knapp
30 m hohe Felskante, unter der sich das Portal eines
Eisenbahntunnels sowiemehrereWohnhäuser befan-
den. Auch der Riss hielt, was ich befürchtet hatte. Auf
der Nordseite sah man deutlich, dass der Riss schon
älterwar. Er stand ca. 8 cmoffenundwar gut 4mlang.
Über die ganze Längewurde schwachKallus gebildet.
Zudemwar die Fichte komplett hohl. Die verbleibende
Restwandstärke konnte ich nur schätzen, sie war je-
doch garantiert nicht besonders üppig.
Bedenklicher aberwar der relativ frischeRiss auf der
Südseite des Baumes.War dieFäule also schon soweit
fortgeschritten, dass der Baum zu brechen drohte?
Tatsächlich hing der Baum hangabwärts und hatte
sich in die benachbarte, deutlich schwächere Fichte
(BHD ca. 70 cm) gelehnt. In ca. 20 Meter Höhe be-
rührten sich die beiden Bäume das erste Mal und der
Wipfel der geschädigten Fichte richtete sich ab hier
durch die Anlehnung auf. Weitere Berührungs- und
Abstützungspunkte der beidenBäumewaren vomBo-
den aus leider nicht zu erkennen.
Wie kannmannuneinen solchenBaumsicher zuBo-
den bringen? Am Stück fällen, das war unmöglich!
Zum einen, da sich diese Fichte mangels Bruchleiste
bestimmt an keine Fällrichtung halten würde, zum
anderen wäre das Risiko, einen der Felsblöcke zu lö-
sen, wegen der unterhalb liegenden Wohnhäuser zu
groß gewesen. Die alternativeVorstellung, diese Fich-
te Stück für Stück abzubauen, fand ich ebenfallswenig
vielversprechend, da ich in diesen Stamm keine
Schocklasten mehr bringen wollte. Mit einem Auto-
kran hätte eswohl funktioniert, aber leider gab es kei-
ne passende Zufahrt. Was tun? Da kammir Andreas
Piepenburg in den Sinn: der hatte doch schonmit He-
likoptern gearbeitet.Wäre das nicht eineMöglichkeit?
Andreas:
Als Ralphmich anrief undmir die Situati-
on und seinAnliegen beschrieb, konnte ich seinen de-
taillierten Darstellungen bereits entnehmen, dass es
sich in Hirschhorn wohl um eine ziemlich brenzlige
und schwierige Situation handelte. Da Eile geboten
war, begann ich unverzüglichmit denVorbereitungen,
setztemichmitmeinenKollegenChristianFaust und
Olaf Florin sowie der Helix Fluggesellschaft in Ver-
bindung. Zusammen bilden wir die „Arbeitsgemein-
schaft Helikopterfällung“. Wir entschieden, dass ich
nach einer Begutachtung vor Ort die Detailorganisa-
tion für denHelikoptereinsatz übernehmen solle.
23.11.2010
Ralph:
Da der Helikoptereinsatz nicht von heute auf
morgen durchführbar war, musste die gekippte Fich-
te zuerst einmal gesichert werden. Hierzuwurden im
unteren Drittel der Fichte zwei Stahlseile installiert,
welche oben amWeg an zwei stärkeren Buchen ange-
schlagen wurden. Die Seile wurden mit einem Ket-
tenzug gespannt. Da sich die Fichte schon bei leich-
tem Zug unnatürlich bewegte, durfte die Seilspan-
nung nicht zu stark sein. Wir installierten die Seile
deshalb mit leichtem Durchhang, damit die Fichte
nicht aus ihren Kontaktstellen rutschen und dabei
eventuell brechen konnte.
1.12.2010
Andreas:
Schon früh amMorgen erreichte ich mit
meinem Mitarbeiter René Bork die Einsatzstelle.
René sollte Ralph und mich bei den anstehenden Ar-
beiten unterstützen. Dass es nicht leicht werden
würde, war mir klar. Doch wie anspruchsvoll würde
dieser Einsatz sein? Auf der Fahrt nach Hirschhorn
war ich die mir bekannten Fakten noch einmal
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