Kletterblatt 2011 - page 46

kletterblatt 2011
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Respekt
… sieht anders aus!
Oft reicht ein kleiner Wechsel des Standortes für einen neuen Blick auf den eigenen Standpunkt. Bernhard Schütte,
ein leidenschaftlicher Baumpfleger, plädiert für mehr Gelassenheit und intellektuelle Redlichkeit. Nicht das „WIE
komme ich in den Baum“ darf eine dogmatische Streitfrage sein, entscheidend ist das „WAS mache ich mit dem
Baum“. Er fordert Respekt vor der Leistung anderer – im Kantschen Sinne auch den Mut zum eigenen Verstande.
V
or über fünfzehn Jahren hatte ich meine ersten
Berührungen mit der damals noch recht kleinen
und aufregenden Szene der Baumkletterer. Welch ein
Glücksfall!
ZudiesemZeitpunktwar ichnochStudent der Forst-
wirtschaft und konnte mich entscheiden zwischen
einer ungewissen Zukunft als Bewerber um eine Re-
ferendarstelle, die ihrerseits von einer noch unge-
wisseren Aussicht auf Anstellung im Forstdienst ge-
krönt worden wäre, oder dem Weg auf den freien
Markt. Freier Markt hätte nicht zwangsläufig Taxi-
fahren oder Bratwurstbude bedeutet, dennoch war-
tete man dort auch nicht allerorten seit Jahren sehn-
süchtig auf denDiplom-Forstingenieur.
MeinBaumkletterkurs stieß die symbolischeTür zu
einem ganz anderen beruflichen Lebensweg auf. Es
schien möglich, einen Beruf auszuüben, der Spaß be-
reitet und von dem man (trotzdem) leben kann. Es
schien möglich, die „Konkurrenten“ zu kennen, sie
zum gemeinsamen Arbeiten einzuladen und zusam-
men auf Fortbildungen zu fahren, nach denen man
abends amFeuer saß undwahlweise über Bäume oder
nicht über Bäume geredet hat. Der Geist der Gemein-
schaft hat mich imwahrsten Sinne begeistert.
Die Zahl der Baumkletterer war damals viel kleiner
und man hatte nach kurzer Zeit einen ungefähren
Überblick, auch wenn man natürlich nicht jeden per-
sönlich kannte. Die Klettertechnik, aus der sich das
entwickelt hat, was heute als SKT bezeichnet wird,
etablierte sich Mitte der 90er Jahre in Deutschland.
Es gab unter denKletterern eine Aufbruchstimmung.
Die Technikwar neu, spektakulär undmit derMotor-
säge sogar illegal. Vielleicht ist es gar nicht schlau, das
zu schreiben, aber es hat großen Spaß gemacht, ein
Teil davon zu sein.
Inzwischen ist die SKT ein anerkanntes Arbeitsver-
fahren mit definiertem Einsatzgebiet und ausformu-
lierten Betriebsanweisungen und Unfallverhütungs-
vorschriften. Damit ist der Kick der Illegalität ver-
schwunden. Aber im Ernst - was soll so schön daran
sein, fünf Monate pro Jahr die Schließung der Bau-
stellen zu befürchten, falls zufällig ein Aufsichtsbe-
amter umdieKurve biegt?DieZahl der Baumkletterer
hat sich vervielfacht, die Technik ist beinah in der
Normalität angekommen und damit ergeben sich Er-
scheinungen, die zur Normalität größererMenschen-
gruppen auf begrenzten Feldern gehören. Die sympa-
thischen Individualisten reagieren unter empfun-
denemKonkurrenzdruck plötzlich wie der Klempner
von nebenan.
Offenes Denken und respektvoller Umgang waren
langeZeitwichtigeGründe dafür, dassman sich inun-
serer Berufsgruppe sehr wohl fühlen konnte. Es wäre
schade, wenn sich das ändert und ich bin überzeugt,
dass wir das nicht nötig haben.
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