Kletterblatt 2011 - page 34

kletterblatt 2011
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SEILTECHNIK
Praxis
Um Abmilderungseffekte durch die Nachgiebigkeit
des Körpergewebes und die geringe Auswirkung der
kurzzeitigen Spitzenlasten zu berücksichtigen, haben
wir vomMaximalwert 15%abgezogen.
Ergebnisse und Bedeutung für die Baumpflege
Vor der Ergebnisvorstellung möchten wir betonen,
dass die Tests nur einer Stichprobe an einem Seiltyp
entsprechen. Generelle Aussagen lassen sich daraus
weder für den Seiltyp und noch weniger für andere
Kletterseile ableiten. Zudem war der statische Ver-
such amDoppelseil mit technischen Schwierigkeiten
behaftet: Die Schlingenscheiben sind für Doppelseil-
versuche nicht ausgelegt, sodass die absolute Gleich-
belastung beider Stränge nicht sichergestellt war. Zu-
demverlor der optische Dehnungsmesser dieMarkie-
rungen imDoppelseilversuchmit demneuen Seil.
Bei gleicher Sturzsituation ist der Fangstoß imDop-
pelseil mit über 6 kN erwartungsgemäß höher als im
Einfachseil (vgl. Abb. 4). Das ältere Seil führt hier zu
etwas niedrigeren Maximalwerten. Diese Tatsache
wird bestätigt durchMessungen an gebrauchtenRig-
ging-Seilen, die nach mehreren Fangstößen einen
niedrigerenSeilmodul, also größereDehnung bei einer
bestimmten Kraft aufwiesen (vgl. Rigging-Report).
Falldämpfer würden durch erhöhte Dehnbarkeit bzw.
zusätzlichen Energieabbau beim Öffnen an dieser
Stelle den Fangstoß reduzieren.
Im Gesamtsystem Kletterer-Seil-Ankerpunkt be-
deutet dies jedoch nur ein Teilergebnis: Die Faktoren
Ankerpunktfederung und Sturzdämpfung durch den
Körper des Kletterers haben wesentlichen Einfluss
auf die Schwere der Belastung durch den Sturz. So
konnte in eigenen Feldversuchen eine Verringerung
des Fangstoßes bei 60 cm Sturzhöhe durch den fe-
dernden Ankerpunkt um 45 bis 75 % gemessen wer-
den (technisch bedingt handelte es sich dabei um
Seitenäste). An Terminalen ist dieser Einfluss noch
nicht untersucht worden.
Zudem verformt sich der menschliche Körper im
Sturzfall, sodass der Fangstoß gegenüber einem Ei-
sengewicht gleicher Masse geringer ist. Nach Erfah-
rungen vonPit Schubert kanndies 30%betragen.Wei-
terhin hat ein rutschender Klemmknoten eine ebenso
dämpfendeWirkung. Die Sturzsituation selber ist da-
rüber hinaus auch sehr entscheidend für das Verlet-
zungsrisiko: Aufrecht erlebte Stürze führen erfah-
rungsgemäß zu geringeren Belastungen als solche in
waagerechter Lage derWirbelsäule.
Daraus kann zusammengefasst werden, dass bei
einem Sturz ins SKT-Systemmit Sturzfaktor 0,3 die
Fangstößewahrscheinlich unter der Grenze von 6 kN
liegen. Dies wird aber von Fall zu Fall sehr unter-
schiedlich sein. Integrierte Fangstoßdämpfer können
dabei in jedemFall das Verletzungsrisiko senken.
In den Sturzversuchenmaßen wir gleiche bis leicht
geringere Fangstöße als mit fabrikneuen Seilen, ob-
wohl es deutlich steifer und fester in der Hand lag.
Dies wird im Wesentlichen von der Dehnfähigkeit
bestimmt, die in den statischen Versuchen altersun-
abhängig ähnlich hoch war. Das dynamische Deh-
nungsverhalten des Seils konnte aus technischen
Gründen nicht ermittelt werden. Es wäre aber durch-
aus interessant, ob halbstatische Kletterseile unter
Sturzbelastung sich nachgiebiger oder steifer verhal-
ten als unter der imPrüfverfahren vorgeschriebenen
geringen Belastungsgeschwindigkeit.
In den Fallversuchen ermitteltenwir einemaxima-
le Beschleunigung von 5 bis 5,5 g (Einzelstrang), bzw.
7 g (Doppelstrang). Dabei dauerte die Belastung von
4 bis 4,5 g über 0,06 s an, während etwa 6 g nur für
0,04 s überschrittenwurden.Wird der Sturz aufrecht
erlebt, kannman für 0,05 s von einemGrenzwert von
etwa 16 g ausgehen. Bei kontrollierten Stürzen kön-
nen 8 bis 9 g, bei unkontrollierten Stürzen 5 bis 11 g
als Grenzwert für die Halswirbelsäule angenommen
werden. Diese ist hinsichtlich der Beschleunigung
die empfindlichste Stelle. Die Beschleunigung liegt
damit je nach Sturzposition im unkritischen bis
leicht kritischen Bereich. Unter Einbeziehung der fe-
dernden und dämpfenden Eigenschaften von Anker-
punkt, Körper usw. ist eine weitere Verringerung der
Beschleunigungswerte analog zum Fangstoß zu er-
warten, da eine direkte Abhängigkeit besteht. Darü-
ber hinaus bestehen hinsichtlich der Beschleunigung
nur sehr wenige nutzbare Erfahrungs- bzw. Grenz-
werte. Die Begrenzung auf 6 kNmaximalen Fangstoß
erfolgte hinsichtlich der Beschleunigung auf ein
Maß, bei demsehr wahrscheinlich nur unterkritische
Werte auftreten.
Die Ergebnisse verdeutlichen, warum eine straffe
Seilführung sowie das Nicht-Übersteigen des Anker-
punktes für Baumkletterer sowichtig sind.Mit diesen
Maßnahmenwird der Gefahr, die aus Stürzen hervor-
geht, am wirkungsvollsten begegnet. Zugleich wird
dem hier noch nicht genannten Risiko des Auf- und
Anschlagens an Stammund Äste vorgebeugt.
Die Autoren danken den Firmen Edelrid und Drayer
für die technische undmaterielle Unterstützung.
Quellenangabe und Literatur auf
Baumpfleger mit SKT, seit 2003 Fachagrarwirt Baumpflege
www. Gruen-in-Form.net
Dipl.-Ing. Andreas Köhler
Dipl.-Ing. Andreas Detter
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