Kletterblatt 2013 - page 36

Baumpflege
kletterblatt 2013
36
Praxis
Wie vorgehen?
DieWissenschaft ist system-
bedingt in der Erforschung der
Baumphysiologie sehr einge-
schränkt handlungsfähig, weil
so viele Wechselwirkungen
nicht isoliert betrachtet wer-
den können und die Versuchs-
zeiten viel zu lang sind. Trotz-
dem ist die Wissenschaft auf-
gefordert, weiter an Detailfra-
gen zu forschen. Vieles ist eben
nur in systematischer Betrach-
tungsweise zu ergründen.
Praktiker leben vonErfahrungen und dazu braucht es
ein langes Berufsleben, umzu brauchbaren Erkennt-
nissen zu kommen. Hinzu kommt, dass Gefühle und
individuelle Eindrücke stark täuschen können. Trotz-
dem ist aber gerade die Praxis sehr nahe an derWirk-
lichkeit, weil sie, anders als Versuche, die Natur mit
all ihrenWechselwirkungen ungeschminkt erlebt.
Wir sollten deshalb versuchen, diese praktischen
Beobachtungen von Vielen zu sammeln, zu ordnen
und zu interpretieren. Wir sollten uns davor hüten,
Teilergebnisse isoliert als pauschales Glaubensbe-
kenntnis auszugeben, wie dies mit der Schnittzeit-
empfehlung geschehen ist.
Mein Vorschlag
Deshalb schlage ich vor, einen Arbeitskreis von
Baumfachleuten zu installieren, der wissenschaft-
licheErkenntnissemit der Praxis vergleicht und dann
für konkrete FragestellungenEmpfehlungen erarbei-
tet. Als Vorbild könnte die Arbeitsgruppe der Garten-
amtsleiter dienen, die sich regelmäßig trifft und eine
Empfehlungsliste für Straßenbäume veröffentlicht
(GALK). Der in der Arbeitsgruppe erstellte Schnitt-
zeit-Empfehlungskatalogmuss permanent reflektiert
und angepasst werden. Baumpfleger sollten nach den
Empfehlungen handeln und die Resultate weiterhin
kritisch in ihrer Praxis beobachten. Durch ihre Rück-
meldungen können die Empfehlungen korrigiert und
optimiert werden. So dürfte im Laufe der Jahre ein
Empfehlungskatalog für viele spezielle Anwen-
dungen und Ziele entstehen, auf die Baumpfleger und
Auftraggeber zurückgreifen können.
Sind Maßnahmenziel, Baumart, physiologischer
Baumzustand zumSchnittzeitpunkt und das physio-
logische Baumalter bekannt, könnte der Baumpfleger
dann mit Hilfe des Empfehlungskataloges Schnitt-
zeiten begründen und empfehlen. In vielen Fällen
würden sich schnell klareHandlungsmuster einspie-
len, weil sich Ziele wiederholen und Ausgangslagen
sich gleichen. Oft hat die Schnittzeit sowieso kaum
einen entscheidenden Einfluss auf die zu erwartende
Wirkung. Sowirdman beispielsweise problemlos das
ganze Jahr Totholz schneiden
oder Bäume fällen können
ohne schädigenden Einfluss
auf die Baumgesundheit.
Leichte Schnitteingriffe und
Korrekturen unterliegen
ebensowenig einer baumphy-
siologischen Beschränkung,
weil kleinere Verletzungen
immer irgendwie vom Baum
kompensiert werden können,
oder es nicht entscheidend
das Wohl des Baumes min-
dert. Interessant wird es
dann, wenn starke Eingriffe in das SystemBaum ge-
plant sind. Hier müssen die diversen Problematiken
in ihren Wechselwirkungen genau geprüft werden.
Danach erfolgt die Abschätzung, ob durch Beachtung
der Schnittzeit die zu erwartenden Probleme verhin-
dert oder minimiert werden können. Das kann im ei-
nen Fall dazu führen, dass Schnittmaßnahmen nach
dem Austrieb empfohlen werden oder der August
günstiger ist oder vielleicht vor demAustrieb oder so-
gar im frühenWinter für die Ausführung der bessere
Zeitpunkt ist.
Was soll in die ZTV?
Die derzeitige kurze und pauschale Aussage in der
ZTV-Baumpflege (Fassung 2006) kann so nicht blei-
ben. Sie ist falsch und muss geändert werden. Die
ZTV-Baumpflege ist jedoch keinLehrbuch. Undwenn
es keine pauschalen, klaren Empfehlungen geben
kann, dann bleibt nur, allgemein zu formulieren, wo-
von die richtige Schnittzeit abhängt undwas beachtet
werden soll. Die ZTV könnte jedoch auf die konkrete
Empfehlungsliste des von mir vorgeschlagenen Ar-
beitskreises verweisen. Ich habe auf Baumpflege-
portal.de einen Textvorschlag für die ZTV als Dis-
kussionsgrundlage undAnregung formuliert. Derzeit
wird die ZTVüberarbeitet. Jetzt ist eine günstige Zeit
zu handeln!
Johannes Bilharz
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