Kletterblatt 2013 - page 28

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ie ZTV-Baumpflege in der Fassung von 2006 fasst
dezidiert in einem Satz zusammen, was in der
Fachliteratur geschriebenund inder Baumpflege zum
Credo erhoben wird, in meinen Augen jedoch falsch
ist. Neben zwei relativ unwichtigen Ergänzungen
steht dort auf Seite 19 nur ein einziger Satz zumThe-
ma Schnittzeit:
„Durch Schnittmaßnahmen tre-
ten die geringsten Folgeschäden auf, wenn sie
währendderVegetationszeit ausgeführtwerden,
da Wunden dann besser abgeschottet werden
und schneller überwallen.“
Das klingt eigentlich relativ harmlos und logisch:
Der Schnitt während der Vegetationszeit hat die ge-
ringsten Folgeschäden! Der Satz verbietet nicht, im
Winter zu schneiden, aber es impliziert diese Forde-
rung. Denn keinBaumpfleger wird imWinter schnei-
den, weil man ja für den Baum die Folgeschäden mi-
nimal haltenmöchte. Wer möchte das nicht?Warum
ich das trotzdem für falsch halte, werde ich im Fol-
genden erläutern.
Der kurze Satz in der ZTV-Baumpflege sagt Fol-
gendes:
1. Beim Schnitt während der Vegetation sind Über-
wallung undWundabschottung am besten.
2. Abschottung und Überwallung sind die wich-
tigsten Faktoren, die über den Grad der Schäden
nach Baumschnitt entscheiden. Andere Faktoren
werden nicht genannt.
3. BeimSchnitt während der Vegetation sind die Fol-
geschäden am geringsten.
Letzter Punkt ist dann auch das, was in Fachbü-
chern gelehrt, in Artikeln und Werbebroschüren ge-
schrieben und beimKunden beratenwird. Es ist kurz,
prägnant und einprägsam, aber aus meiner Sicht in
dieser schlichten Form falsch!
Die 1. Aussage könnte durchaus noch einen rich-
tigen Ansatz enthalten, aber mir ist keine wissen-
schaftliche Untersuchung bekannt, aus der sich diese
pauschale Aussage ableiten lässt. Dazu später mehr.
Aber selbst wenn es sich herausstellt, dass „Vegetati-
onsruhe“ und „Vegetationszeit“ hinsichtlich Schädi-
gung deutlich unterscheidbar sind, so zeigt mir die
Praxis, dass diese Faktoren nicht die einzigen, ja
meist sogar nicht einmal die entscheidenden sind, die
Einfluss darauf haben, ob es zuFolgeschäden kommt.
Von meinen praktischen Erfahrungen ausgehend,
ist es auch theoretisch schwer vorstellbar, dass es
gleichgültig sein soll, wannMaßnahmenwährend der
Vegetation durchgeführt werden, wie das die ZTV
ausgibt. Die physiologischen Bedingungen im Baum
ändern sich im Jahresverlauf permanent – gerade
während der Vegetationszeit – und sind zu verschie-
den, als dass es gleichgültig sein kann, wann Pflege-
maßnahmen am Baum durchgeführt werden. Wenn
man dann noch die Variabilität von Baumarten, Le-
bensphasen undVitalitätsstufenmiteinbezieht, dann
ist nur schwer vorstellbar, dass die natürlichen Vor-
gänge eine so einfache Betrachtungsweise und pau-
schalierende Schlussfolgerung zulassen.
zeit
Schnitt
1...,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27 29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,...132
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