Kletterblatt 2005 - page 35

Lageenergie
Betrachtet man die Energie-
bilanz bei Ablassarbeiten am
senkrecht stehenden Stamm
unter diesem Aspekt, so ver-
fügt das Stammstück zunächst
aufgrund seiner Position über
potentielle Energie oder La-
geenergie. Wie groß diese ist,
hängt lediglich davon ab, wie
schwer das Stammstück ist
und wie weit es fallen kann,
bevor es zur Ruhe kommt.
Lageenergie =
Gewichtskraft x Fallstrecke
In unserem Fall heißt das: Als
wichtige Ausgangsparameter
beeinflussen das Gewicht des
Stammstückes und die Fallstre-
cke zunächst die umgesetzte
Energiemenge. Daher ist es be-
sonders wirkungsvoll, kleinere
Stammstücke zu schneiden.
Dass das Gewicht auf diese
Weise vermindert wird, er-
schließt sich noch sofort: halbe
Länge, etwa halbes Gewicht.
Aber durch das Verkürzen des
Stammstückes wird automa-
tisch auch die Fallstrecke redu-
ziert und die freigesetzte Lage-
energie sinkt nochmals stärker
ab. (siehe Abb.1)
Spannenergie
Kippt das Stammstück über
die Bruchleiste, wird seine
Lageenergie nach und nach in
Bewegungsenergie umgewan-
delt. Das Stammstück fällt
immer schneller, bis sich das
Seil zu straffen beginnt und es
mehr oder weniger rasch ab-
bremst. Dabei wird die Bewe-
gungsenergie nach und nach
in Spannenergie umgewan-
delt, während sich das Seil auf
seiner ganzen Länge dehnt.
Dass dehnbare Materialien
Energie aufnehmen können,
lässt sich leicht nachvollziehen.
Einen kaum dehnbaren Bindfa-
den kann man gefahrlos zwi-
schen seinen Händen mit vol-
ler Kraft spannen und unter
Last durchschneiden. Versucht
man das gleiche mit einem
Gummiband, könnte der Ver-
such schmerzhaft enden. Der
elastische Gummi gibt dann
nämlich die beim Dehnen ge-
speicherte Energie schlagartig
wieder frei.
Spannenergie =
_ x dehnende Kraft x Deh-
nungsweg
Wie bei der Lageenergie wird
die Energiemenge also von
den zwei Größen Kraft und
Weg beeinflusst, hier der deh-
nenden Kraft und der Verlän-
gerung des Seiles, dem er-
reichten Dehnungsweg.
Um die Dehnung möglichst
gering zu halten, setzt man
beim Heben von Lasten mit ei-
ner Seilwinde statische Seile
ein, Greifzüge werden sogar
mit Stahlseilen betrieben. Auf
diese Weise können mit mög-
lichst geringem Aufwand
schwere Lasten bewegt wer-
den, da wenig Spannenergie
im Seil gespeichert wird. Mit
einem elastischen Seil müsste
enorme Arbeit investiert wer-
den, um die benötigte Kraft
mit Hilfe des sich dehnenden
Seiles (großer Dehnungsweg)
zu übertragen – zugleich stie-
ge im Versagensfall die Gefahr
gravierender Schäden, wenn
die gespeicherte Energie frei-
gesetzt wird.
Ohne dynamisches Abseilen
(blockiertes Ablassgerät) muss
eine bestimmte Energiemenge
(die Lageenergie) vollständig
in Spannenergie umgewandelt
werden. Daher muss auf der
linken Eingangsseite der obi-
gen Gleichung für die Spann-
energie ein fester Wert erreicht
werden. Dies ist entweder mit
einer geringen Dehnung und
einer hohen Kraftspitze, oder
aber durch einen großen Deh-
nungsweg und einen entspre-
chend kleineren Kraftaufwand
möglich. (siehe Abb: 2)
Durch dynamisches Ablassen
wird zum einen der Deh-
nungsweg vergrößert, zum
anderen wird in entscheiden-
dem Maße Energie über die
Reibung auf dem Bremsgerät
in Wärme umgewandelt. Im
besten Fall schafft es ein geüb-
ter Bodenmann, das Stamm-
stück abzusetzen, ohne dass
Thema
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Abb. 2 Ein starres Seil weist eine hohe Steifig-
keit (= Seilmodul) auf, die sich in der Grafik als
sehr steile Gerade ausdrückt (violett).
Je dehnbarer das Seil ist, desto flacher ver-
läuft die Linie (blau).
Die im Seil gespeicherte Spannenergie wird
von den beiden gelben Dreiecksflächen dar-
gestellt.
Obwohl diese gleich groß sind, ergibt sich
beim flexiblen Seil ein viel niedrigerer Fang-
stoß als beim starren Seil.
Dies resultiert aus der höheren Dehnung,
die das dehnbare Seil beim Abbremsen des
fallenden Stammstücks zulässt.
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