Schnitt
zeit
kletterblatt 2012
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milate. Assimilate werden gebraucht für Fruchtbil-
dung und -wachstum, Längen- und Dickenwachs-
tum, Neutriebbildung, Abwehrreaktionen, Abschot-
tung usw. Die Hierarchie der Verteilung dieser
knappen Ressourcen ändert sich im Jahresverlauf,
aber auch von Jahr zu Jahr (z.B. Jahr mit vielen
Früchten imVergleich zu einemJahr ohne).
Irgendwann im Sommer beginnen Bäume unserer
Breiten umzuschalten. Von Art zu Art und innerhalb
der Baumarten kann das natürlich stark variieren. Im
Frühjahr geht es um Blatt-, Trieblängen-, Dicken-
wachstum, Fruchtbildung uvm. Neutriebbildung
wirdMitte der Vegetation beendet, neugebildete Zel-
len (Dickenwachstum) zeigen zum Ende der Vegeta-
tion einen anderen Zellaufbau als imFrühjahr. Ganz
wichtig für den Schnitt: im letzten Vegetations-Drit-
tel (vage Schätzung vonmir) werden vermehrt Reser-
vestoffe gebildet und eingelagert in Vorbereitung auf
denWinter. Nährstoffe werden aus Blättern abgezo-
gen. Interessant ist, wo Reservestoffe im Baum ein-
gelagert werden. Das ist hauptsächlich in derWurzel,
imStammund in den dickenÄsten. Eine gute Versor-
gung mit Reservestoffen ist wichtig, um die Atmung
im Winter aufrecht zu erhalten, aber auch für die
Frosthärte und natürlich ganz wichtig für den Aus-
trieb im Frühjahr, da ohne Blätter die Produktions-
stätten für Assimilate fehlen. Sobald die Blätter da
sind, sind die Reservestoffe weitgehend verbraucht.
Sie werden nach und nach zum Jahresende hin zu-
nehmend wieder aufgefüllt.
Schon hier wird deutlich, dass der Begriff „während
der Vegetation“ unzureichend die physiologische Situ-
ation imBaum berücksichtigt. Es kann deshalb nicht
pauschal heißen: Bäume solltenwährend derVegetati-
ongeschnittenwerdenoder noch schlimmer, Sommer-
schnitt sei das Beste für den Baum. So einfach ist es
leider nicht. Ohne Differenzierung geht es nicht. Ein-
stein soll einmal gesagt haben: „Man sollte alles so ein-
fachwiemöglich sehen - aber auch nicht einfacher.“
Die Botanik misst die Vegetationsstadien nicht an-
hand des Kalenderdatums, sondern hat dafür den Be-
griff „Phänologie“ eingeführt. Phänologie ist dieLehre
vom Einfluss der Witterung und des Klimas auf die
jahreszeitlicheEntwicklung der Pflanzen. Das könnte
doch einAnsatz für die Zukunft sein.Wir sollten auch
in der Baumpflege phänologische Zeiträume benen-
nen, die die jeweils vorherrschende physiologische Si-
tuation imBaumwiderspiegeln.
Weg mit dem Sommerschnitt
Verbannt bitte das Wort „Sommerschnitt“ aus dem
Sprachgebrauch in der Baumpflege, zumindest so lan-
ge, bis genaue Bezeichnungen für die verschiedenen
physiologisch unterscheidbaren Zeiträume definiert
sind. Undhört auf, den „Sommerschnitt“ oder „Schnitt
während der Vegetation“ als Pauschalzeit für Schnitt-
maßnahmen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Auswirkungen von Maßnahmen im Jahresverlauf
Es ist ein gravierender Unterschied, ob imFrühjahr
geschnitten wird, wo als Reaktion auf den Schnitt
Äste neu austreiben können oder Längenwachstum
provoziert wird, oder im Sommer, wo kein Trieb-
wachstummehr möglich ist. Aber auch im Frühjahr
kann Schnitt unterschiedliche Auswirkungen haben.
Folgt nach starken Schnitteingriffen imspätenFrüh-
jahr eine warme regenreiche Periode kann das un-
günstigen Spätaustrieb zur Folge haben (Neutriebe
reifen bis zumWinter nicht mehr aus und erfrieren).
DieWitterung spielt also auch eine nicht unwichtige
Rolle bei der Vorhersage der Reaktion auf denSchnitt.
Leichtes Auslichten imSommer (Juli, August), kann
durchaus dazu führen, dass Äste besser ausreifen.
Das verbleibende Blattwerk kann die fehlende