Kletterblatt 2012 - page 34

Schnitt
zeit
kletterblatt 2012
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S
eit Shigo verharrt die Baumpflege auf den Be-
obachtungen und Erkenntnissen der Forschung
bezüglich Abschottung und Kompartimentierung
sowie auf Kallusbildung bei Wundrändern. Baum-
pfleger stürzen sich auf das Erkennen von Schadpil-
zen und auf die Beurteilung der Verkehrsicherheit.
Ein bisschen Abwechslung bringen Krankheiten in
das Leben der Baumpfleger (z.B. Pseudomonas, Ei-
chenprozessionsspinner, Massaria). Alles wichtige
Themen, keine Frage.
Eines der ureigensten Themen der Baumpflege, der
Baumschnitt, wird hingegen stark vernachlässigt.
Zugegeben nicht nur aus Ignoranz, sondern system-
bedingt. Reaktionen auf den Schnitt dauernMonate
und Jahre, da lassen sich die Zusammenhänge nur
noch sehr schlecht überschauen. Zu diesem Thema
gehört sehr wesentlich die Frage nach der richtigen
Schnittzeit. Die Bedeutung der Schnittzeit wird leider
in der Baumpflege-Welt weitgehend ignoriert, nicht
erkannt oder auf Floskeln reduziert. Schlimm nur,
dass diese Nicht-Beachtung gerade auch in Baum-
gutachten, wo Maßnahmen ohne konkrete Angaben
zur Schnittzeit empfohlen werden, für den Baum ge-
fährlich werden können.
Stiefkind Schnittzeit
Stimmt nicht, werden Sie vielleicht einwenden, die
Baumpflege tritt doch seit Jahren für den Sommer-
schnitt ein. Darin liegt genau das Problem. Es wird
lediglich unterschieden zwischen „Winter-„ und
„Sommerschnitt“, evtl. wird noch der Begriff „Schnitt
während der Vegetation“ nachgeschoben. Gefragt,
was die Unterschiede seien, weiß jedoch kaum je-
mand konkrete Antworten. Nirgendwo wird diffe-
renziert oder werden die Begriffe definiert. Weder
Wissenschaftler, Buchautoren, noch Gutachter ge-
hen auf das Thema ein, oder nur unspezifisch am
Rande. Nicht verwunderlich, wenn ausgebildete und
geprüfte Baumpfleger auch nach Lehrgängen, die sie
zum Baumpfleger qualifizieren, keine einheitliche
klare Vorstellung davon haben, was imLaufe der Ve-
getation so alles im Baum passiert und noch wich-
tiger, welche Auswirkungen der Baumschnitt in den
einzelnen Vegetationsstadien hat. Für die meisten
gilt deshalb: „Hauptsache, es wirdwährend der Vege-
tation geschnitten“, weil der Baum imWinter nicht
abschotten kann.
Gefühlt wissen durchaus viele, dass die Schnitt-
maßnahme abhängig ist von der Aufgabenstellung,
der Baumart, vom Zustand des Baumes und von der
Jahreszeit. Aber es herrscht Ratlosigkeit bei der Fra-
ge, was denn genau die Unterschiede sind. Was ist
denn beispielsweise konkret der Unterschied, wenn
ich eine alte 400 Jahre alte Linde stark einkürze oder
eine 200 jährige Eiche?Was wäre zu beachten, wenn
ich den Schnitt imFrühjahr oder Herbst oder gar im
Winter ausführe? Wer kann mir weiterhelfen oder
sagen, wo ich das nachlesen kann?
Offizieller Kenntnisstand Schnittzeit
Wenn ich Praktiker befrage oder Fachbücher bzw.
Fachberichte studiere, zeigt sich mir folgendes Bild
über die derzeitige Lehrmeinung zur Schnittzeit bei
Bäumen:
Winter ist Winter. Im Winter ruht der Baum, der
Pilz nicht. Deshalb sei der Schnitt im Winter
schlecht, weil der Baum nicht auf den Schnitt rea-
giert und abschotten kann, der Pilz mithin unge-
hemmt imwehrlosen BaumUnheil anrichtet, weil er
auch bei niedrigerenTemperaturen aktiv ist. Manch-
mal hört oder liest man immerhin, Kallusbildung sei
am besten, wenn im Frühjahr nach dem Laubaus-
trieb geschnitten werde.
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