Kletterblatt 2012 - page 40

Schnitt
zeit
kletterblatt 2012
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Blattmasse in der Energieleistung oft komplett kom-
pensieren. Die verbleibenden Knospen entwickeln
sich besser. Eine Schwächung durch verminderte Re-
servestoffeinlagerung ist nicht zu erwarten.
Anders die Situation bei starkem Schnitt während
der Hauptphase der Reservestoffeinlagerung. In die-
ser Phase geschnitten kann es passieren, dass ge-
schwächte Bäume (z.B. alte Naturdenkmale) nicht
ausreichend geschützt in den Winter gehen, d.h.
nicht optimal mit Reservestoffen versorgt sind. Der
Austrieb imFrühjahr bleibt schwach, die Blattmasse
gering, die Bildung neuer Assimilate ist suboptimal,
die Abwehrkraft des sowieso schon schwachen
Baumes sinkt noch weiter. Das kann für den Baum
das Todesurteil sein. Deshalb Achtung vor demSom-
merschnitt! Nicht nur alte abgängige Bäume, son-
dern auch Bäume, die von Haus aus nicht so winter-
hart sind (z.B. Nussbaum, Pfirsich), verzeihen eine
Schwächung durch „Sommerschnitt“ oft nicht.
Was im einen Fall ein Vorteil ist, kann im anderen
ein Nachteil sein. Wer z.B. auf Wachholderheiden
den störenden Hartriegel entfernenmöchte, der darf
nicht imWinter schneiden, wie dies fatalerweise oft
aus Gründen des Naturschutzes gemacht wurde (und
wird?). Denn ein Großteil der Reservestoffe wird in
den Wurzeln eingelagert. Wird der Hartriegel über
dem Boden abgeschnitten, erhalten die Wurzeln
nicht nur einen Reiz und bilden aus dem flächigen
Wurzelsystem viele Sprösslinge, sondern die Wur-
zeln sind vollgepackt mit Reservestoffe, die die
Sprösslinge im Frühjahr kräftig aus dem Boden
sprießen lassen. Nach wenigen Jahren ist die ganze
Heide zugewachsen. Genau das Gegenteil von dem,
was der Naturschutz mit der Maßnahme erreichen
wollte, nämlich Offenhaltung der Heide.
Was lernt man daraus?
Nicht nur der Hartriegel braucht Reservestoffe,
sondern auch andere Baumgewächse. Und wenn der
Hartriegel imWinter abgeschnittenwird und er sich
danach besser ausbreitet und wächst, kannman sich
leicht vorstellen, dass Schnitt imWinter je nach Ziel
auch etwas Positives bewirken kann. Durch Schnitt
im Winter kann der Baum z.B. im Trieb gefördert
werden (mehr Triebe, mehr Blätter, mehr Dicken-
wachstum, mehr Stabilität.....).
DochAchtung:Winter ist nicht gleichWinter. ZuBe-
ginn der Vegetationsruhe, sitzen dieReservestoffe tief
im Baum (Wurzel, Stamm, dicke Äste). Je näher die
Zeit des Blattaustriebes naht, werden die Reserve-
stoffemobilisiert und in die Feinäste zu denKnospen
transportiert.Wer es aus der Praxis nicht schonkennt,
kann sich leicht ausrechnen, dass bei Schnitt zuWin-
terbeginn zumZeitpunkt des Austriebesmehr Reser-
vestoffe zur Verfügung stehen als bei Schnitt nach der
Mobilisierung der Reservestoffe im Spätwinter. Klar
ist unbestritten, dass die Abschottung zu Winterbe-
ginn schlechtermöglich ist für denBaumals imSpät-
winter. Es muss also imEinzelfall immer abgewogen
werden, obKompartimentierungwichtiger ist oder die
Schonung der Reservestoffe. Das kann nicht pauschal
beantwortet werden. Diese Option sollten Baumex-
perten und Baumpfleger allerdings kennen.
Gefahren Sommerschnitt
ImSommer (August/September) geschnitten kann
ein alter kränkelnder Baum (z.B. altes Naturdenk-
mal) so stark geschwächt werden, dass der Baumden
Winter nicht oder nur sehr schwach überlebt. Grund:
dem Baum werden beim Sommerschnitt sehr viele
Blätter entnommen, so dass die Produktion und Ein-
lagerung von Reservestoffe stark behindert ist oder
verhindert wird. Für einen kranken alten Baumkann
dies das Todesurteil sein.
Es ist tragisch, wenn Baumpfleger versuchen, durch
Schnittmaßnahmen im „Sommer“ alten wertvollen
Baumbestandzu retten, derBaumaber genauaufgrund
dieser falschen Schnittzeit eingeht. Wer kommt schon
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