kletterblatt 2012
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Nirgendwo höre oder lese ich, dass Schnittmaßnah-
men in Beziehung gesetzt werden zu den sich imJah-
resverlauf ändernden, physiologischen Vorgängen in
Bäumen. Kaum jemand wagt vorherzusagen, wie der
Baum auf die Maßnahmen reagiert. Es ist zwar zu
hören und zu lesen, dass der Baum möglicherweise
erst mal geschwächt wird oder stark austreibenwird
(StichwortWasserschosse), aber überall da, wo ichdas
gelesen oder gehört habe, war nie die Rede von einer
vorgegebenen Schnittzeit. Die Schnittzeit ist jedoch
von zentraler Bedeutung, wenn ich die Reaktion des
Baumes auf Schnittmaßnahmenvoraussagenmöchte.
Warum ist die Beachtung der Schnittzeit so wichtig?
Die Reaktion von Bäumen auf Schnittmaßnahmen
beschränkt sich nicht nur auf die bessere oder
schlechtere Abschottung. Der Baumschnitt greift di-
rekt in die Baumphysiologie ein. Die physiologischen
Vorgänge sind jahreszeitlich sehr unterschiedlich.
Deshalb dürfte es eigentlich nicht verwundern, dass
„Schnitt in der Vegetation“, oder der undefinierte
„Sommerschnitt“ nicht als Vorgabe für Schnittmaß-
nahmen ausreicht. Ein und derselbe Schnitt wirkt
sich deshalb zwangsläufig unterschiedlich auf den
Wuchsverlauf und die Baumreaktion aus, je nachdem
wann geschnitten wird.
Reservestoff-Versorgung von Bäumen
Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Reserve-
stoffe. Der Reservestoffzyklus muss in Schnittzeit-
Überlegungen unbedingt mit einbezogenwerden. Die
Thematik „Reservestoffe“ wurde durchaus schon in
früheren Jahren von der Wissenschaft untersucht.
Auch in der Praxis kennt zumindest der Erwerbsobst-
bauer denEinfluss der Reservestoffe bei Schnittmaß-
nahmen in unterschiedlichen Jahreszeiten. Amdeut-
lichsten zeigt sich das an der Austriebstärke vonNeu-
trieben. Die Baumpflege hat diese Erkenntnisse bis-
her noch nicht im Blick. Vereinzelt wird es in der
Literatur erwähnt, dann aber nur beiläufig und ohne
konkreten Zusammenhang.
Was ist eine günstige Schnittzeit?
Es gibt sicherlich technische Gründe, eine be-
stimmte Schnittzeit gut oder schlecht zu finden:
❚
der Bauer hat vielleicht imWinter mehr Zeit, um
Obstbäume zu schneiden (oft zitiert)
❚
der Baumpfleger erkennt im Sommer das Totholz
besser (O-Ton aus einemFachbericht)
❚
es ist für den Baumpfleger gesünder und angeneh-
mer, Platanen imWinter zu schneiden (sehe ich ein)
❚
der Naturschutz möchte bekanntermaßen im
Frühjahr die brütenden Vögel schützen (alles eine
Frage der Priorität)
Diese oft zitierten Gründe sind sekundäre, aber
nicht baumspezifische Gründe für die Wahl der op-
timalen Schnittzeit. Darüber spreche ich hier nicht.
Mir geht es um die Reaktion im Baum bzw. was ein
Schnitt
zeit