kletterblatt 2011
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Report
Klettern im Mamut
war es ein Erlebnis. Denn Steven Sil-
lett und sein Team sind begeisterte
ART-Geräte-Anwender undnicht nur
das, die meisten tragen auch am lieb-
sten die Pfanner-Stretch-Air-Klet-
terhosen. Natürlich in grau, denn die
Forscherwollenmöglichst wenig auf-
fallen und von niemandem entdeckt
werden. Das ist auch der Grund, wa-
rum sie nicht mit Gaspistolen ihre
Seile einbauen, sondernmit der Arm-
brust. Niemand soll auf ihre Arbeit
aufmerksamwerden undmitbekom-
men, dass es sich bei den Bäumen um
besondere Individuen handelt.
Sie genossen es, die neuenEntwick-
lungen vonHubert gezeigt und die Zukunftspläne von
ihmvorgestellt zu bekommen. JedenAbendwurde in-
tensiv und engagiert über die Techniken diskutiert,
Entwickler und Forscher in ihrem Element. Alle im
Teamwarenvertrautmit Lockjack, Positioner, Spider-
jack und Ropeguide. So war es nicht überraschend,
dasswir einenRekord anderer Art verzeichnen konn-
ten: die höchste, wohl je in einemBaumgezählteART-
Geräte-Dichte: 10Spiderjacks (je zwei ander vonSteve
bevorzugten Motion-Lanyard), 4 Positioner, 5 Rope-
guide und 1 Lockjack.
Hattenwir anfangs noch eine höflich, interessierte
und respektvolle Distanz, so war unser Verhältnis
nachwenigenTagen geradezu herzlich, als wärenwir
über viele Wochen durch gemeinsame Arbeit zusam-
mengeschweißt worden. Dabei waren es nur ein paar
Tage gewesen. Und so kam es, dass die, wie wir
glaubten, einmaligen Ereignisse noch gesteigert wer-
den konnten.
Steve war von der Parkverwaltung kurzfristig in-
formiert worden, dass imGebiet, in dem der höchste
RiesenmammutbaumderWelt steht, künstlich Feu-
er gelegt werden sollte. Das gehört inzwischen zur
regelmäßigen Parkpflege. So wird verhindert, dass
sich imLaufe der Jahre zu viel totes Holz ansammelt
und große, alles vernichtende Feuer entstehen kön-
nen. Kleine Feuerbrände können den Riesenmam-
mutbäumen nichts anhaben, gegen große Feuerwal-
zen aber sind auch sie machtlos. Steve wollte die Ge-
legenheit nutzen, um die Bodenvegetation vor und
nach dem Feuer zu vergleichen und ordnete eine au-
ßerplanmäßige Bodenkartierung an. Und er lud uns
ein, dabei zu sein.
Hubert und ich zögerten nicht, die Einladung anzu-
nehmen und änderten unsereReisepläne. DieÜberra-
schungwar groß, als Steve uns nachAnkunft amver-
abredeten Ort mitteilte, dass wir den höchsten Rie-
senmammutbaum der Welt nicht nur sehen, sondern
auch klettern werden. Denn Russel, der
Diplomand, musste noch einige Mess-
daten im Baum überprüfen und wir
sollten ihn begleiten.Wir konnten unser
Glück kaum fassen.
Das Klettern war wieder beeindru-
ckend wie schon die Woche zuvor. 60
Meter an einem Stamm hochzuklet-
tern, ohne Ästen zu begegnen und ohne
dass der Stammumfang in der Höhe
merklich abnimmt, das ist und bleibt
fantastisch. Schon in Deutschland ist
es für jeden Baumpfleger ein emotio-
nales Erlebnis, wenn man in einer 250
jährigen Eiche oder Platane mit 35Me-
tern Höhe klettert. Dieser Mammut
hatte geschätzt 2.000 Jahre. War da nicht noch was
vor 2000 Jahren? Noch einmal genossen wir den
Ausblick, an dem man sich nicht satt sehen kann.
DiesesMal war es aber nicht das an sich schon beein-
druckende Erlebnis von Höhe und Natur, es war
mehr. Wir standen auf dem vermeintlich höchsten
RiesenmammutbaumderWelt und blickten von oben
auf die Spitze, die immerhin 94,86 Meter misst. Wie
fühlt man sich, wenn man vielleicht als erster Euro-
päer da oben steht? Einfach nur Wahnsinn! In die-
sem Augenblick fühlte ich mich als Kolumbus, als
Whymper, als Armstrong. Glücklich.
So schön es auch ist und so sehr ich es allen Baum-
pflegern und auch anderen Menschen gönne, so et-
was zu erleben, so sehr respektiere ich den Wunsch
von Steven, zum Schutz der Bäume keine Orte und
Namen zu veröffentlichen. Ich weiß, das ist einfach,
wenn man zu den wenigen Privilegierten gehört, die
solches erleben durften. Aber ich schreibe über das
Erlebte, weil die Natur nur dann geschützt werden
kann, wenn die, welche es erlebt haben, zeigen, was
man verliert, wenn diese Natur nicht geschützt wird.
Und so werde ich mich auch in Zukunft wieder über
meinen ersten Großbaum freuen, der eine Höhe von
25Metern hatte undmir dieWeisheit vonKindern zu
Herzen nehmen, für die beim Klettern nicht die ab-
solute Höhe der Glück bringende Moment ist. Was
wirklich zählt, sind nicht die Rekorde, der Durch-
messer, die Höhe oder das Alter von Bäumen. Aber
solche Rekorde können helfen, uns der Verantwor-
tung für die Natur bewusst zu werden.
Arbeit darf auch Spaß machen!
Johannes Bilharz