Kletterblatt 2011 - page 15

kletterblatt 2011
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Report
Klettern im Mamut
und kann sehr leichtwieder eingeholtwerden. Oben in
der Baumspitze wird das Aufstiegsseil vom Vorklet-
terer so eingebaut, dass beide Seilhälften unabhängig
fixiert sind und herunterhängen. So haben die Nach-
folgenden zwei unabhängige Aufstiegsstrecken.
Zurück zu unseremerstenMammutbaum: Cameron
war vorgeklettert und gab die Aufstiegsseile frei. Nun
waren Hubert und ich an der Reihe. Mein bisher
höchster Baum(einMammut imSchönbuchbei Stutt-
gart) war 45Meter hoch gewesen. Ichwar sehr aufge-
regt und wegen meiner Hände ein wenig in Sorge:
würden sie durchhalten?Dann ging es los.Mit der Fit-
ness vonHubert konnte ichnichtmithalten, aber nach
15 Minuten stand auch ich auf der Spitze des Riesen
und hatte meinen persönlichen Höhenrekord mal so-
eben um 31 Meter übertroffen, denn wir maßen 76
Meter! Dass es sich um einen relativ kleinen und jun-
gen Baum handelte (geschätztes Alter 500 bis 1.000
Jahre), konnte dieses Erlebnis nicht mindern. Der
Blick von hier oben auf dieWeiten der Sierra Nevada,
der Blick hinab auf die anderen Bäume, die immerhin
höher waren als alles, was so in Deutschland in den
Wäldern steht, war atemberaubend. Unglaublich! Nur
das Rauschen des Windes, das Zwitschern der Vögel
war zu hören und rundherum, in jede Richtung eine
scheinbar unendlicheWeite vonBergketten undWäl-
dern. Es ist ein überwältigendes Naturerlebnis und
hier oben kann man vergessen, wie verletzlich diese
Natur ist, dennman fühlt sichwohl und geborgen.
Steven Sillett und das interdisziplinäre Forscher-
team haben in sämtlichen Mammutbaum-Regionen
in Kalifornien insgesamt 16 Untersuchungsflächen
eingerichtet. Man will verstehen lernen, wie diese
Bäume funktionieren und wie sie beispielsweise auf
die Klimaänderungen reagieren werden. Die Bäume
werden exakt dreidimensional vermessen. Jeder Ast
wird kartiert, um ihn am Computer grafisch dreidi-
mensional darstellen und die Auswertung der Mess-
ergebnisse zuordnen zu können. Jedes Jahr werden
aus den Bäumen Ast-, Blatt- und Zapfenproben ge-
nommen.
Abends ermittelten Bob und Steve
mittels statistischem Zufallsverfah-
ren, welche Äste am nächsten Tag für
die Proben eingeholt werden. Das wa-
ren die Ziele des nächsten Tages. An
einem Tag marschieren wir wieder,
voll bepacktmit schwerer Ausrüstung,
querfeldein einen steilenSchluchtwald
hinunter, buchstäblich über Stock und
Stein. Bob zeigt uns unterwegsTannen
und Kiefernmit fast 70Metern. Wenn
alle Bäume diese Dimensionen haben,
verliert man fast das Gefühl für diese
einzigartige Höhe. Nur über die
undmir, hatte sein eigenes Forschungsthema undwar
mit speziellen Aufgaben betraut.
Am ersten Tag begleiteten wir Cameron, Giacomo,
Anthony und Russel, um Seile in einen Zwillings-
mammutbaum einzubringen, der bei vorangegan-
genen Höhenmessungen mittels Radarscan beim
Überfliegen durch seine Höhe aufgefallen war und
nun exakt vermessenwerden sollte.Wir fuhren in die
Nähe des Zielgebietes undmachtenunsmit Kletterge-
päck zu Fuß auf die Suche durchs Gelände. Doch an
diesemTag konntenwir denZwillingsbaumtrotz lan-
gen Suchens nicht finden. Um den Tag nicht ganz ab-
schreiben zumüssen, habenunsereFreunde beschlos-
sen, einen kleinen Riesenmammut zu klettern, den
wir inderNähe unsererRoute ausmachten, damitHu-
bert und ich einen ersten Eindruck bekommen kön-
nen. Das gab Gelegenheit, uns als Personen und noch
wichtiger unsereTechnikundunserKönnen imBaum
besser kennen zu lernen. Und wenn ich jetzt von
einem kleinen Mammutbaum schreibe, so nur, weil
noch größere folgten.
Amschwierigstenundgefährlichsten ist derAufstieg
für den erstenKletterer. DerAnkerpunkt ist vonunten
selten richtig einsehbar, was ein Einschätzen der Sta-
bilität unsichermacht. An diesemerstenAnkerpunkt
angekommen, hängt derKletterer dasAufstiegsseil an
seinen Gurt und klettert mit dem Motion-Lanyard
weiter. DenNamenhatteSteve schonvor vielenJahren
seinem Klettersystem gegeben. Er verwendet für die
Arbeiten in den Mammutbäumen ein ca. 20 m langes
Kletterseil, an deman beidenEnden seit ein paar Jah-
renSpiderjacks eingebaut sind, so dassmanmit einem
Seil zwei unabhängige Sicherungen hat. Das System
ist in vielenVariationen schon immer genutzt worden,
auch bei uns in Europa. Steves Verdienst ist es, dem
VerfahrenendlicheinenNamengegebenzuhaben. Der
Hauptvorteil gegenüber der Verwendung von zwei
komplett unabhängigen Seilsystemen ist, dass man
nicht so viel Seil braucht, dameist nur einSystem lang
seinmuss und das zweite kurz sein kann. BeimHoch-
klettern wird das genutzte System kurz und das lose
ungenutzte System gleichzeitig lang.
So kann es dann gleich zum Weiter-
werfen genutzt werden, ohne dass neu
umgehängt werden muss. Das spart
Gewicht und Zeit. Es hat natürlich
auch Nachteile, die hier jedoch ver-
nachlässigbar sind.
Für den Fall, dass die Astzwischen-
stände für das Vorwerfen des Seiles zu
groß werden, benutzen die Forscher
eine speziell gekapselteAngelspule, die
jeder an seinemGurtmitführt. DasGe-
rät spult die Leine beim Werfen des
Wurfbeutels im Baum zuverlässig ab
Zapfen des Riesenmammuts
können über 20 Jahre alt werden.
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