Kletterblatt 2010 - page 13

kletterblatt 2010
13
Klettern im Mamut
Report
Technik früher in abgewandelter
Form ebenfalls unterrichtet. Zum
einen konnte man die damals ver-
wendete6-m-Kurzsicherungmit dem
symmetrischenPrusikbeidseitig ver-
wenden, und zumanderen ist es mit-
tels dieser 6‑m‑Kurzsicherung und
dem Hauptkletterseil einfach, sich
über zwei Ankerpunkte inder Luft zu
positionieren. In großenBäumen set-
zen viele Kletterer bei uns 10 bis 20 Meter lange Zu-
satzsicherungen zumHauptseil ein, umdas von Sillet
bevorzugte Skywalking zu ermöglichen. Die meisten
Kletterer verwenden jedoch meist nur ein Seilende
zumKlettern und arbeiten für das Skywalking lieber
mit zwei getrennten Seilsystemen.
Hat der erste Kletterer die Aufstiegsseile für die
nachfolgendenKletterer sicher installiert, steigen die
Forscher paarweise auf und vermessen beimAufstieg
den Stammdurchmesser und die Stammhöhlungen.
In der Krone vermessen sie sowohl den Durchmesser
als auch die XYZ Koordinaten und somit die räum-
liche Anordnung sämtlicher Holzteile inklusive Äste,
Zweige und Doppelstämme. (Die Baumspitze besteht
oft aus zahlreichen Hauptstämmen.) So kann später
ein dreidimensionales Bild vomBaumerstellt werden.
Wenn die außenwachsenden Blätter nicht von der ei-
genen Krone aus zu erreichen sind, spannen die kali-
fornischen Forscher eine Seilbahn zwischen benach-
bartenBäumen. Dennwas für Zapfenpflücker in deut-
schen Wäldern gilt, gilt erst recht, wenn man sich in
Giganten bewegt: Der kurze Weg von Baum zu Baum
ist sicherer und schlicht effizienter als der erneute
mühsame Aufstieg von ganz unten.
Für dieVermessung vonBaumkronenverwendet das
Forschungsteameinen Infrarot Survey Laser wie den
Impuls 200LR. Die genaue Höhenangabe (bis in den
Zentimeterbereich) kann aber nur ganz klassischmit
demMaßband erfolgen, gemessen vomhöchstenBlatt
bis zumWaldgrund. UmdenEinfluss vonWind, Luft,
Feuchtigkeit und Temperatur auf einen Baum zu er-
forschen, installiert das Team solarbetriebene Sen-
soren in der Krone. Diese Sensoren tragen Instru-
mente, die Licht, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit,
Windgeschwindigkeit, Niederschläge und den Tran-
spirationsstrom (Xylemfluss) messen. Die Forscher
des Redwood Ecology Institutes begannen im Jahr
2000mit solchen Sensoren zu arbeiten, einige der von
ihnen installierten Anlagen lieferten über fünf Jahre
lang zuverlässige undwertvolle Daten.
Manche Sensoren werden auch entlang einer defi-
nierten Baumumfangslinie am Hauptstamm instal-
liert, ummöglichst genaueDaten über denTranspira-
tionsstromin der gesamtenKrone zu erlangen. Solche
Sensoren haben beispielsweise ge-
zeigt, dass ein 371 Fuß großer Se-
quoia sempervirens an einem ein-
zigen Tag 1000 Liter Wasser über
Verdunstung und Transpiration
(Evapotranspiration) an die Atmo-
sphäre abgibt.
Die Studien an Riesenbäumen
brauchen auch riesig viel Zeit. Da
kann es vorkommen, dass Steve Sillet und sein Team
oft 24-Stunden-Schichten einlegenmüssen, umall die
Messungen korrekt zu überprüfen. Ihr bester Kumpel
ist dann ein Port-A-Ledge, auf dem sie ihr gesamtes
Hab undGut beziehungsweise all das, wasman so für
ein Leben imMammutbaumbraucht, lagern, dieNut-
zung als Schlafstätte inbegriffen.Wie es sichwohl an-
fühlt, in 100 Metern Höhe im Baum zu übernachten?
So ein Rucksack mit Ausrüstung wiegt dann schon
mal 35 kg, was Steve Sillett dann mal ganz lässig im
Huckepack hochbringt.
JedeswissenschaftlicheVerständnis vonMammut-
bäumen erfordert eine exakteVermessung der gesam-
tenBaumdimension. EinengroßenAnteil dieserDaten
liefert das vorsichtige und nicht-verletzende Vermes-
sen derKrone, einen kleinenTeil abermüssen die For-
scher durch den Baum verletzende Maßnahmen ge-
winnen. Manchmal sammeln sie Blätter, manchmal
entnehmen sie mit einem kleinen Bohrer Holzspäne,
um spezifische Altersmessungen vornehmen zu kön-
nen, denn gerade die Dendrochronologie (Jahresring-
analyse) gewinnt für die Forscher immermehr anBe-
deutung. Die Studien von Forschern wie Steve Sillet
liefern die ersten echten, tragfähigen wissenschaft-
lichenErkenntnisse zuBlattmasse, Blattfläche, Kam-
biumoberfläche, Rinde, Splintholz und Kernholz und
ermöglichen überwältigende Einblicke in die ganz ei-
gene Welt dieser größten Lebewesen und Wunder-
werke derWelt!
Erinnern Sie sich an Julia ButterflyHill? Sie besetz-
te 738 Tage einen Küstenmammutbaum. Und wer je-
mals staunend vor so einem Riesen stand, versteht,
was sie sagenmusste:
„When you see someone in a tree trying to protect it,
you know that every level of our society has failed.“
(* Einen lesenswerten Artikel zu diesen Giganten der Erde gibt es in Rudi Palla,
„Unter Bäumen. Reise zu den größten Lebewesen der Erde“. Von der Platane des
Hippokrates bis zum Entenfußbaum. Dieses Buch mit 21 wunderschönen Artikeln
gibt es leider nur noch antiquarisch.)
M.A.GermanistikMünchenundBoston
Redakteurin,Übersetzerin,Lektorin,
Unternehmenskommunikation
Britta Arnold
Last vor der Rast:
35 kg Gepäck auf
dem Rücken
bis zur Übernachtung
in 100 Meter Höhe
1...,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12 14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,...129
Powered by FlippingBook