kletterblatt 2010
        
        
          
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          Klettern im Mamut
        
        
          Report
        
        
          den höchsten Baum der Erde gefun-
        
        
          den zu haben.
        
        
          Kaum jemand dürfte mehr Mam-
        
        
          mutbäume erklettert haben als Steve
        
        
          Sillet. KeinWunder, dass er einwah-
        
        
          rer Meister der Aufstiegstechniken
        
        
          ist. Über den 50 m Footlock-Event
        
        
          beim freeworker-Jubiläum im
        
        
          Herbst 2009 hätte erwahrscheinlich
        
        
          geschmunzelt, ist doch der erste brauchbare Ast bei
        
        
          seinenRiesen oft erst in 60 oder 70mHöhe zu finden.
        
        
          Von Hand lässt sich da keine Wurfleine installieren
        
        
          und auch mit der BigShot kommt man nicht weiter.
        
        
          Ohne Armbrust geht gar nichts. Und ungefährlich ist
        
        
          das obendrein auch nicht, denn eineÜberprüfung des
        
        
          Ankerpunktes ist kaum möglich. Reiterate können
        
        
          leicht ausbrechen. Und selbstwennnur ein relativ klei-
        
        
          ner Ast aufgrund von Seilreibung ausbricht, kann er
        
        
          großes Unheil anrichten. Ein Fall aus 50 bis 100 Me-
        
        
          tern Höhe macht einen Ast zum tödlichen Geschoss.
        
        
          Sillet hat in dieser Hinsicht schon sehr viel erlebt und
        
        
          überlebt.
        
        
          Wenn der erste Kletterer aufgestiegen ist, meistens
        
        
          übernimmt Sillet bei seinen Expeditionen und For-
        
        
          schungendieseAufgabe, wird dasAufstiegsseil für die
        
        
          Folgenden gut gesichert an einemAst installiert. Für
        
        
          die Arbeiten im Kronenbereich werden dann die üb-
        
        
          lichen Baumklettertechniken am umlaufenden Dop-
        
        
          pelseil verwendet. Das Systemmit einem stehenden
        
        
          Aufstiegsseil und demumlaufendenDoppelseil für die
        
        
          Arbeit in der Baumkrone ist inzwischen fast überall
        
        
          auf derWelt in der Baumpflege üblich. Auch der Kam-
        
        
          biumschoner ist bei denForschernStandard, denn bei
        
        
          allemForscherdrangmöchte Steve Sillet wenig Scha-
        
        
          den andenBäumen anrichten. DiesenRespekt vor den
        
        
          Bäumen hat er sich trotz aller Routine erhalten.
        
        
          Aufgrund der großen Astabstände verwendet Steve
        
        
          Sillet ein etwa 20Meter langes Seil, das erMotion-La-
        
        
          nyard oder auch Spinnenseil nennt. Anfänglich hat er
        
        
          am linkenund rechtenEnde jeweils einenBlake-Kno-
        
        
          ten gesetzt, umso imWechsel beide Enden für ein ge-
        
        
          sichertes Aufsteigen nutzen zu können. Inzwischen
        
        
          verwendet er zwei umgebaute Spiderjacks, denen er
        
        
          dieDaumenbremse entfernt undmit Positionerwirbel
        
        
          versehen hat. Steve nennet diese Wechseltechnik
        
        
          nicht ohneAugenzwinkern die „Spiderman-Technik“.
        
        
          Auch kann er sichmit zwei Ankerpunkten beliebig im
        
        
          Luftraumpositionieren, was sich beimGewinnen von
        
        
          Blattproben oft als nützlich erweist. Er nennt diese
        
        
          Technik „Skywalking“, weil man sich durch Verkür-
        
        
          zen und Verlängern der linken und rechten Seilseite
        
        
          scheinbar völlig frei in der Luft bewegt.
        
        
          In der Münchner Baumkletterschule wurde diese
        
        
          Redwood oder Eukalyptus, noch
        
        
          weiß man nicht alles. Viele „Wahr-
        
        
          heiten für die Ewigkeit“ sind ledig-
        
        
          lich aktuelle Zustandsberichte.
        
        
          Seit der Besiedelung der amerika-
        
        
          nischen Westküste begann im 18.
        
        
          Jahrhundert das hemmungsloseAb-
        
        
          holzen der Riesen. Das 1776 gegrün-
        
        
          deteSanFranciscowurdemit ihrem
        
        
          Holz erbaut. Heute existieren nur noch etwa drei bis
        
        
          fünf Prozent der ursprünglichenWälder, wovonTeile
        
        
          zu Naturschutzgebieten erklärt wurden.* Seit vielen
        
        
          Jahrzehnten verfallen Besucher in ungläubiges Stau-
        
        
          nen ob der Macht und Pracht der geretteten „Red-
        
        
          wood-Kathedralen“, die ihre Kronen oft erst in einer
        
        
          Höhe von über 70 Metern ausbreiten. Genau aus die-
        
        
          semGrundwussteman auch lange nurwenig über die
        
        
          Ökologie in denKronen der Baumriesen.
        
        
          Erst seit knapp 15 Jahren befasst sich ein Team um
        
        
          den Botaniker Steve C. Sillet mit der Erforschung der
        
        
          Baumkronen. Sillett ist Professor an der Fakultät für
        
        
          Forestry andWildlandResources derHumboldt State
        
        
          University und erforscht sowohl dieÖkologie der Rie-
        
        
          senbäume als auchdie desWaldbestandes, den sie sich
        
        
          erschaffen und in demsie gedeihen.
        
        
          1987machten sichder damals 19-jährigeSteveSillet,
        
        
          sein Bruder und ein weiterer Student auf die Suche
        
        
          nach den Küstenmammutbäumen. Als sie vor, bezie-
        
        
          hungsweise unter denTitanen standen, waren sie be-
        
        
          geistert. Noch nie zuvor hatten sie so hohe Bäume ge-
        
        
          sehen! In seinem jugendlichen Leichtsinn erkletterte
        
        
          Sillet ohne jedesHilfsmittel einen 90Meter hohenTi-
        
        
          tanen, indem er in einemwaghalsigen Manöver frei-
        
        
          händig von einem kleineren Baum in die Krone des
        
        
          Riesen hinübersprang. Auf diese Weise kletterte er
        
        
          dann bis in die Spitze - auf 90 Meter. Das Gefühl, das
        
        
          er dabei verspürte, war so beeindruckend, dass er fort-
        
        
          an sein Biologie-Studium vermehrt auf diese Bäume
        
        
          ausrichtete. Er lernte Baumforscher und deren Klet-
        
        
          tertechnik kennen, verfeinerte die Klettermethoden
        
        
          und wurde immer bekannter. Schnell bekam er auch
        
        
          Kontakt zur Baumkletter-Szene und machte sich die
        
        
          Baumklettertechnik ebenfalls zu eigen.
        
        
          Die Ökologie der Baumkronen dieser Riesenbäume
        
        
          hat ihn voll in seinenBann gezogen. Zahlreiche Expe-
        
        
          ditionenundForschungsprojekte hat er seither durch-
        
        
          geführt.Man könntemeinen, dass aufgrund der gerin-
        
        
          genZahl an verbliebenenMammutbäumen dieHöhen
        
        
          und Standorte aller Bäume bekannt sein sollten. Doch
        
        
          weit gefehlt. Die Urwälder in Kalifornien sind sehr
        
        
          schlecht zugänglich und dieHöhe der Bäume imdich-
        
        
          ten Wald nur schwer abschätzbar. So kann man sich
        
        
          auch heute immer noch nicht sicher sein, tatsächlich
        
        
          Der wahrscheinlich
        
        
          höchste Baum
        
        
          der Erde ist ein
        
        
          Küstenmammutbaum
        
        
          und heißt Helios.