Kletterblatt 2009 - page 90

kletterblatt
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Thema
Und dann runter,
durch dieses doch ver­
dammt enge Loch. 50 x 50
cm war der Ein­stieg. Dann ging
es langsam nach unten. Der Dreck
rieselt, begleitet mich nach un­ten. Der
Lichtkegel meiner Stirnlampe streifte eine
Spinne, riesig, mit mindestens unglaublichen
18 Beinen. Mindestens! Ansonsten war es
finster und kalt, schätzungsweise 5 Grad.
Nach 15 m stieß ich an einen morschen, mit
Eisenriemen umspannten Holzbalken. Nach
weiteren gemessenen 4,5 m war ich dann
unten. Hier war alles voll mit Unrat, Holztei­
len, aber auch Plastikmüll. Gott sei dank keine
Leichen!
Mit einer Brecheisenstange bohrte ich ein
Loch in diese Schlammschicht, die weich und
löchrig war. Dabei saß ich immer am Seil, da
wir damit rechnen mussten, dass dies nur eine
Zwischendecke war, die plötzlich nachgeben
konnte. Irgendwann stieß ich auf eine Rund­
holzstange, die nicht rausgezogen werden
konnte. Andere Kleinteile wurden in einem
Bigbag nach oben befördert. Ich ging von
ganz unten im Brunnen zu Fuß in der Steig­
klemmentechnik. Stepp bei Stepp mit Pantine
und Trittschlinge.
Die Bauarchitekten, die Gartenarchitektin
und der Schlossherr glaubten, dass ein zweiter
Abstieg noch Neues zutage fördern konnte.
Also machten wir einige Wochen später einen
2. Abstieg. Da sich der von uns konstruierte
Aufbau beim letzten Mal bewährt hatte, konn­
ten wir auf ein vorhandenes System zurück­
greifen. Dieses Mal hatten wir aber
Stichschaufeln und besseres Licht in
der Ausrüstung. Dieses Mal konnte
ich mich schneller abseilen, da ich ja
wusste, was mich erwartete. Und
dank der Funkhelme war auch die
Kommunikation mit den Leuten oben
kein Problem.
Der Schlamm wurde mit einem Big­
bag nach oben befördert – Schicht für
Schicht. Dies ging relativ schnell und
problemlos, da der Brunnenschacht nur ca.
2m Durchmesser hatte und nicht die erwar­
teten Mengen an Dreck nach oben transpor­
tiert werden mussten.
Das im Schlamm steckende Holzrohr wurde
nun mühsam freigelegt, angehoben und her­
ausgezogen. Dann kam aber schon das Was­
ser. Der Boden, auf dem ich stand war also
keine Zwischendecke, sondern der Quellboden.
Am Ende teilte ich mir den letzten trockenen
Fleck mit einem Käfer und einer Spinne.
Dann ging es wieder nach oben. Der restli­
che Schlamm wurde später durch Spülen von
einer Spezialfirma ausgepumpt. Die Holzrohre,
die wir aus dem Schacht geholt hatten, wur­
den damals konisch ineinander gesteckt und
mit Eisenreifen fixiert. Das war dann eine
Brunnenpumpe anno 1900 in einem Brunnen­
schacht aus dem 18. Jahrhundert.
Diese Arbeit hat großen Spaß gemacht, aber
eigentlich war die Vorbereitung das Interessan­
tere daran. Bei dieser Kletterrichtung gilt es
nicht nur Höhe zu überwinden, sondern auch
große Temperaturunterschiede. In unserem Fall
war dies ein Höhenunterschied von 20 Metern
und ein Temperaturunterschied von 27 Grad.
Marcel Kreitl
Zertifizierter Arborist seit 1999,
Selbstständiger Baumpfleger in SKT
Ausbilder für SKT und SZT
Der Autor
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