Kletterblatt 2013 - page 84

Moooment! Meine Freude am Montag wurde zu
großen Teilen durch die Gewissheit gespeist, dass
wir ins Gebirge zur Arbeit fliegen und dort ein paar
Gittermasten zusammenschrauben. In der Realität
stellte sich die Lage so dar: Ich war mit der Ex-Berg-
auf-Nationalmannschaft im Tal ausgekippt wor-
den und der Wegweiser zeigte nach oben. Der Al-
tersunterschied von 17 Jahren schmolz mit jedem
Höhenmeter und ichmusste mir fest einreden, dass
meine Sohlen auch viel glatter waren als die von
Blaschko und Ferro. Die beiden sind mir zwar nicht
davon gelaufen, aber ich bin sicher, wenn man mit
60 noch in diesem Tempo läuft, muss man sich
nichts vorwerfen.
Die Arbeit selbst war sehr spannend. Ich hatte nur
einen Beobachtungs- und Fotoposten, aber das war
bei den Windverhältnissen nicht der schlechteste.
Jetzt zeigte sich erst, wie gut unser Pilot wirklich
war. Trotz überraschender Böen und ohne direkten
Sichtkontakt zur angehängten Last manövrierte er
die Elemente in kurzer Zeit in die richtige Position,
wo sie fixiert und verschraubt werdenkonnten. Der
Arbeitstag endete nach 22 Uhr. Gegen 23 Uhr saßen
wir in einer Pizzeria, bestellten doppelte Portionen
und ich lag mit meiner Vermutung wieder weit da-
neben. Die zweite Pizzawurde nicht sofort als Nach-
tisch verspeist, um die Depots wieder aufzufüllen,
sondern als Frühstück amnächstenMorgen bei den
Masten.
Kurz nach vier warenwir halbwachwieder bergauf
gestolpert und hatten unsere Positionen besetzt.
Blaschko hattemir zwar angeboten, unten zu bleiben
und auszuschlafen, weil ich nicht als Arbeiter einge-
plant war, aber das ging ja nun gar nicht! Ich wollte
mir nicht die nächsten zehn Jahre anhören, dass ich
damals in der Slowakei schlapp gemacht hätte, als
die 60-jährigen Männer nach vier Stunden Schlaf
wieder aufgestiegen sind. Außerdem bin ich nicht
unbedingt bekannt dafür, dass ich zu viel schlafe.
Ich wurde das Gefühl nicht los, hier eine Testreihe
zu absolvieren. Nach der Schnapsstation kam die
Bergwertung und jetzt derWachtest. Ich glaube, dass
ich mich ganz gut hielt, aber vor allem stieg meine
Hochachtung vor denMännern. Ichwusste jetzt, wa-
rum Robert so gern mit Ihnen arbeitet. Bescheiden-
heit, Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Besonnenheit
und eine hohe Belastbarkeit lernt man an seinenKol-
legen zu schätzen, besonders wenn die Arbeit an-
strengender und schwieriger wird.
DerHubschraubereinsatzmusstewegen der starken
Winde mittags abgebrochen werden. Wir kehrten
nach Dobsina zurück und setzten unseren Kurs fort.
Rettungsübungen, Aufstiegstechniken am stehen-
den Seil und Rigging rundeten die Ausbildung ab. Die
Prüfung war erwartungsgemäß für keinen der fünf
ein Problem.
Ob es nun gut war, dass mein voller Kalender eine
Verlängerung des Aufenthaltes und damit Wander-
und Radausflüge unmöglich gemacht hat, weiß ich
nicht. Ich verließ Dobsina jedenfalls ein bisschen
wehmütig, weil ich fünf sehr angenehme Kletterer
kennengelernt und die vielleicht spannendste Ausbil-
dungswoche seit Beginn meiner Ausbildertätigkeit
erlebt hatte.
Johannes leitete kurz darauf eine Anfrage aus Slo-
wenien weiter. Zwei Kletterer, die auf der Meister-
schaft in Bernried am freeworker-Stand bereits Inte-
resse bekundet hatten, wollten einen SKT-B-Kurs
buchen. Mit deutschen Sprachkenntnissen hätteman
problemlos in Bayern etwas einrichten können. Ein
Blick auf die Karte zeigt, dass man bei einemStart in
München schneller in Slowenien ist, alsman inRich-
tungHamburgHessen erreicht. ZoranundAndrej wa-
ren im Deutschen nicht sattelfest, kannten aber den
einen oder anderen Werbeslogan, zum Beispiel von
VW, wie sich später herausstellte. Die beiden wollten
denKurs gern in englischer Sprache absolvieren.
„Dann machen wir‘s einfach wie immer.“ hätte ich
beinah geantwortet, entschlossmich aber, das wieder
zu löschen, weil ein einziger Kurs nach dem Schema
„Ich fahr hin und dann wird das schon irgendwie mit
Sprache, Standort und so weiter“ ja noch nicht viel
»immer« ist. Dennochwar ich sehr zuversichtlich. Ich
wollte Zoran und Andrej unbedingt unterstützen,
weil sie schon seit Jahren in einer slowenischen
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