Kletterblatt 2013 - page 81

eine Zulassung für die Baumkletterausbildung besaß.
Zwei derMänner waren 60 Jahre alt, einweiterer 56.
Warum hatte mich Robert eigentlich gewarnt? Ach
ja, die drei älterenHerrenwaren in den achtziger Jah-
ren Teil der tschechoslowakischen alpinenNational-
mannschaft, können auf Erstbegehungen im Hima-
laya und in Alaska zurückblicken und weigern sich
nun, ihre Kraft undKondition auf ein altersgerechtes
Niveau zu senken.
Die Stadt Poprad empfing mich am Morgen mit
einematemberaubenden Blick auf das kleinsteHoch-
gebirge der Welt, die Hohe Tatra. Der leere Super-
marktparkplatz erwies sich als ausgezeichneter
Treffpunkt, sodass ich Jaro und Blaschko auch sofort
erkannte. Wir fuhren durch den Nationalpark Slo-
vensky Raj nach Dobsina, wo der Kurs eigentlich
stattfinden sollte. Dort trafen wir auf Petjo, Vlado
und Ferro.
Vlado hatte ein paar Jahre inGroßbritannien gelebt,
Jaro und Blaschko konnten Englisch verstehen und
sprechen. Die Kommunikation sollte also kein Pro-
blem darstellen. Meine Eröffnung war allerdings ein
möglichst locker in die Runde geworfenes slowa-
kisches „Wie geht´s?“. Das sorgte erst mal für Erheite-
rung. Ich legte nach und versprach, zumindest die
slowakischenKnotennamen zu lernen und damit die
Spracharbeit nicht komplett abzuwälzen.
Nach ein paar Minuten war klar, wir würden ganz
und gar nicht bei null anfangen, sondern einenWork-
shopmit einer abschließenden Prüfung abhalten. Be-
vor wir wirklich loslegen konnten, wollte Blaschko
noch wissen, ob es in Ordnung wäre, wenn wir den
Kurs am Mittwoch unterbrechen würden. Es gäbe
noch einen schwer zu verschiebenden Job. Ichwar ein
wenig in der Zwickmühle. Der slowakische Durch-
schnittsverdienst liegt angeblich nicht weit oberhalb
von 350 Euro. Das mag bei den Kletterern zwar an-
ders sein, aber ich wusste, dass keiner der fünf Teil-
nehmer die Kurskosten aus der Portokasse bezahlen
konnte. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, im
Gegenzug nicht auf Feierabendzeiten zu achten und
auf Wunsch auch nach dem Abendbrot noch Fragen
zu beantworten oder Präsentationen zu zeigen. Und
jetzt das!
Meine Teilnehmer wollten einen halben oder sogar
ganzen selbst bezahlten Kurstag verstreichen lassen
und arbeiten? Vielleicht sollte der Arbeitstag auch die
Finanzierung des Kurses stützen? Ich fragte vorsich-
tig nach denUmständen. Blaschkomeinte, die Dring-
lichkeit läge in der aufwändigen Logistik und vergeu-
det wäre der Tag auch nicht, denn ich könntemitkom-
men undmir ein Bild davonmachen, welche Arbeiten
er und seine Männer sonst so verrichten. Also mit-
kommen wäre in diesem Falle mitfliegen, denn wir
müssten mit dem Hubschrauber in die Tatra fliegen
und Strommastenmontieren. Ich überlegte eine lange
Zehntelsekunde, ja das würde wohl gehen. Mir war
schon bei der Anreise klar, dass nichts an diesem
Kurs Routine werden würde, aber jetzt ging echt die
Sonne auf!
Amersten Tag ging es umdie Gefährdungsbeurtei-
lung und ich kammir schon sehr deutsch vormit allen
Regeln und Baustellenvorbereitungen, die eine Rolle
spielen, bevor das erste Seil im Baum ist. Durch die
Erfahrungen in der slowakischen Bergwacht und Er-
lebnisse im Arbeitsalltag erschien nicht einmal die-
ser Teil der Ausbildung trocken und bürokratisch. Die
sorgfältige Baumbeurteilung, eine sichere Ausrü-
stung und eine wirksame Absperrung machen das
Arbeiten unumstritten sicherer. Wer darauf verzich-
tet, spart vielleicht Zeit, geht aber ein unberechen-
bares Risiko ein.Wer eineRettung vorab plant, hat im
Notfall bessere Chancen auf Erfolg. Das gilt in
Deutschland, in der Slowakei und auf der ganzen
Welt.
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