Kletterblatt 2008 - page 43

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kletterblatt
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Interview
Länge von maximal 2 Meter, d. h. die
dicken Bäume musste ich mit Steigei-
sen frei aufsteigen. Anfangs hatte ich
schon ein mulmiges Gefühl, aber ich
kletterte und kam nach oben und vom
Klettern nicht mehr los.
Hast Du anschließend eine Ausbildung
im Klettern gemacht?
Nein, wo auch? Ich kannte anfangs
außer meinen Kollegen in der Firma
niemanden, der noch kletterte. Man
arbeitet wie auf einer Insel. Es gab ja
auch noch kein spezielles Gerät. Man
war froh, wenn man in einem Segel-
sportladen Seile bekommen konnte.
Auch das Werkzeug musste man sich
den eigenen Bedürfnissen entspre-
chend anpassen. So wunderbar leich-
tes Gerät, so handliche Sägen wie es
heute gibt, gab es damals nicht. Des-
halb kam man nicht auf den Gedan-
ken, dass Klettern mehr sei als eine Ar-
beitsmethode, die jeder für sich so ein
wenig betreibt. Ich habe angefangen
mit einem 16 mm Hanfseil und einem
einfachen Prusik-Knoten und mich nach
und nach in das Klettern eingearbeitet.
Die Gurte waren vollgeschmiert mit
Lackbalsam, die Karabiner hatten die
besten Tage hinter sich, die Seile waren
pelzig, Kambiumschoner und Helme
gab es nicht, dafür Gehörschutz.
Ab 1989 bin ich mehr und mehr ge-
klettert, habe dann 1992 zuerst in Mün-
chen und ab 1993 im Landkreis Höxter
ein eigenes Gewerbe angemeldet.
1993 war ich auch bei den Meister-
schaften in Lahnstein. Dort hatte ich
zum ersten Mal Kontakt zu Menschen,
die sich wie ich als Baumkletterer fühl-
ten und mit denen ich mich austau-
schen konnte.
Wie stand es in dieser Zeit um die
Baumpflege? Fachagrarwirt für die
Baumpflege bist Du ja erst seit 1994.
In München hatten wir so gepflegt
und geschnitten, wie es damals üblich
war und gewünscht wurde. Große
Schnitte und starke Auslichtungen
waren an der Tagesordnung, überall
wurde Lackbalsam aufgeschmiert. Es
wurde richtig Baumchirurgie gemacht,
mit Stammkopfbolzen, Ringverbolzung,
Drainage, Auffräsen der Wunde, was
damals zwar nicht mehr ausschließ-
lich, aber doch noch überwiegend
Baumpflege-Standard war.
Aber es war schon die Zeit des Um-
bruchs. In Collm bei Leipzig steht eine
400 – 600 Jahre alte Linde. Deren
hohler Stamm war 1953 mit Beton
und Ziegeln zugemauert worden.
1992 wurden Ziegel und Beton wie-
der entfernt und der Stamm wurde,
nun hohl, nach neuen Pflegemetho-
den saniert. Wie hast Du als Baum-
pfleger diese Zeit des Umbruchs er-
lebt?
Solange ich in der Firma gearbeitet
habe, praktizierten wir die sogenannte
Baumchirurgie. Als Selbstständiger
machte ich das nicht mehr. Aber nicht
weil mir über Nacht klar geworden
war, dass Baumchirurgie den Baum
eher schädigt als ihm hilft. Mir fehlten
die Objekte, und außerdem hätte ich
gar nicht die dafür notwendigen Ge-
räte gehabt. Wann sich die grundsätz-
liche Einstellung geändert hat, kann
ich nicht sagen. Das sind längere Pro-
zesse. Irgendwann hört man davon,
dann hinterfragt man die alte Metho-
de, zweifelt und wird neugierig auf
das Neue. Aber das Interesse alleine
reicht natürlich nicht. Ich musste mich
weiterbilden, Seminare besuchen, stän-
dig Neues lernen. Man kann auch nicht
so tun, als ob es früher neben der
Baumchirurgie keine anderen Ansätze
gegeben hätte. Aber das bekam man
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