Kletterblatt 2005 - page 70

Richtig handeln beim Hängetrauma
wärts und abwärts, blockiert
nicht mehr den Rachenraum,
und der Bewusstlose kann un-
gehindert atmen.
Wir haben hier also zwei Pro-
bleme mit gegensätzlichen
Handlungserfordernissen. Einer-
seits droht dem Bewusstlosen
durch das Absacken des Blutes
eine Kreislaufschwäche mit
Herzüberlastung. Hier wäre ei-
gentlich die Kauerstellung an-
geraten. Andererseits sollte bei
einer Bewusstlosigkeit der Be-
troffene immer in die stabile
Seitenlage gebracht werden.
Bewusstlose lassen sich näm-
lich nicht wirklich in eine Kau-
erposition bringen. Sie sacken
immer wieder zur Seite weg,
was schon den einen oder an-
deren Kursteilnehmer gedank-
lich zu kreativen Lösungen mit
Spanngurten inspiriert hat.
Durch die Flachlagerung, wel-
che eine stabile Seitenlage
nun mal darstellt, wird das
Herz nicht stärker belastet als
zuvor. Im Gegenteil. Es ist nun
für den Körper einfacher, die
normale Versorgung der Orga-
ne wieder herzustellen, da
nicht mehr gegen einen etwai-
gen hydrostatischen Druck an-
gepumpt werden muss. Und
bevor der Bewusstlose durch
sein überbelastetes Herz infol-
ge der Flachlagerung ernsthaf-
te Probleme bekäme, wäre er
in der Kauerstellung bereits an
seiner eigenen Zunge erstickt.
Das Thema Hängetrauma
kann alle betreffen, die sich
im Gurt bewegen:
ob Sportkletterer, Höhenar-
beiter oder Baumkletterer,
die Gesetze der Schwerkraft
gelten für alle. Aber es ist
nicht allein die Schwerkraft,
sondern auch die den Men-
schen eigene Anatomie, die
beim Hängen im Kletter-
gurt ein besonderes Pro-
blem verursacht. Wie kann
im Ernstfall bestmöglich
geholfen werden?
Bei bewegungslosem Hän-
gen, z.B. bei Bewusstlosigkeit,
funktioniert die Muskelpumpe
nicht. Es kommt deshalb we-
sentlich weniger Blut zum Her-
zen zurück, was dann zur Lun-
ge transportiert und mit Sau-
erstoff beladen werden könn-
te. Zusätzlich behindern die
Einschnürungen durch den
Gurt den Rückfluss des Blutes.
Der sich innerhalb weniger
Minuten dramatisch verstär-
kende Sauerstoffmangel erfor-
dert bei Unfällen von Klette-
rern ein schnelles Eingreifen.
So weit sind sich alle einig.
Aber wie geht es dann weiter?
Immer noch wird gelehrt, dass
nach der Rettung eines Verun-
glückten, der längere Zeit frei
im Gurt gehangen hat, dieser
in eine Hock- oder Kauerposi-
tion gebracht werden soll. Das
ist nicht gänzlich falsch, muss
aber auf jeden Fall modifiziert
werden.
In diversen Kursunterlagen
wird die Hock- oder Kauerpo-
sition mit einer möglichen
Herzüberbelastung begründet.
Teilnehmer von Erste-Hilfe-
Kursen lernen, dass eine Per-
son mit einem akuten Herzin-
farkt aufrecht gelagert werden
muss. Gleichzeitig wird aller-
dings auch darauf hingewie-
sen, dass ein Bewusstloser im-
mer in die stabile Seitenlage
gehört. Denn in der Bewusst-
losigkeit sackt die Zunge nach
hinten in den Rachenraum und
blockiert damit den Luftweg.
Ziel der stabilen Seitenlage ist
es, dass die Mundöffnung tie-
fer liegt als die Öffnung des
Magens, wodurch Erbrochenes
leichter abfliesen kann. Somit
lässt sich verhindern, dass der
Bewusstlose etwas davon anat-
met und daran erstickt. Die er-
schlaffte Zunge folgt ebenfalls
der Schwerkraft, rutscht vor-
Thema
kletterblatt
05
70
Was tun im Ernstfall?
Der Autor
Andreas Mitschke
Fachdozent für Notfall-
medizin, Höhenretter und
Ausbilder,
24558 Henstedt-Ulzburg
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