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iele ungepflegte Bäume haben
sich zu instabilen, bruchgefähr-
deten und wenig vitalen Bäumen ent-
wickelt. Lebensdauer und Baumge-
sundheit sind oft eingeschränkt. Fast
immer sind solche Bäume schlecht zu
nutzen und bringen unregelmäßige
Erträge mit unzureichend versorgten
und daher wenig gehaltvollen Früch-
ten. Ein unausgeglichener Zustand
eines Baumes kann ebenso durch eine
unsachgemäße Kronenpflege hervor-
gerufen oder verstärkt werden. Ein
typisches Beispiel ist ein überborden-
des Triebwachstum, ausgelöst weni-
ger durch starke, sondern vor allem
durch physiologisch ungünstig wir-
kende Schnittmaßnahmen. In Teilen
verdichtete, instabile Kronen sowie
eine gestörte Fruchtbarkeit sind auch
hier die Folge.
Der besondere Vorteil des Schlank-
schnitts liegt in seiner ausgleichen-
denWirkung auf die physiologischen
Prozesse des Baumes. Übermäßiges
Triebwachstum wird maßvoll ver-
mindert, vergreiste Bäume werden
revitalisiert. Beim Schlankschnitt
wird nicht grundsätzlich wenig ge-
schnitten. Kronenauslichtungen im
Der Schlankschnitt
Umfang von 30 bis 40 Prozent des
Fein- und Schwachastanteils sind in
der Praxis nicht nur üblich, sondern
oft auch notwendig, um eine stabile
und für die Nutzung günstige Krone
herzustellen (Bosch, 2010). Der
Schlankschnitt ermöglicht dies, ohne
dass es in Folge zu unerwünschten
Reaktionen des Baumes kommt, z. B.
zur Bildung starker „Wassertriebe“
oder zu einer Ertragsminderung.
Die Technik des Schlankschnitts
kann bei fast allenKronenformen au-
ßerhalb des strengen Formobstbaus
und bei fast allen einheimischen
Baumarten angewandt werden. Sehr
oft bleibt die Ausdehnung der Krone
dabei erhalten, der Eingriff kann aber
auch mit einer Kroneneinkürzung
(Absetzenauf Zugast) verbunden sein.
Wer sich bei der Obstbaumpflege auf
eine bestimmte Form festlegt (z. B.
Tellerkrone, Oeschberg-Krone, Hohl-
krone oder Spindel), neigt dazu, bei
älteren Bäumen, die nicht der ange-
strebten Grundform entsprechen,
Eingriffe vorzunehmen, die dasErrei-
chen der Pflegeziele verhindern, vor
allem das Pflegeziel „Baumgesund-
heit“. Da der Schlankschnitt nicht an
eine bestimmte Kronenform gebun-
den ist, besteht diese Gefahr hier viel
weniger.
Vorgehensweise
In Anlehnung an
die Methode Bilharz
Um einen Ast als Ganzes schlank zu
schneiden, wählt man zunächst in
dessenäußerenBereicheinenAst oder
Trieb aus, der als neue Spitze defi-
niert wird. Dieser sollte lang sein und
nicht angeschnittenwerden. Alle an-
derenÄste/Triebe imUmfeld, welche
aufgrund ihrer Länge, ihres Durch-
messers oder ihrer Lage im Raum
eine Konkurrenz zur ausgewählten
Spitze sind oder es in absehbarer Zeit
werden können, werden vollständig
entfernt (Wegschnitt, Triebvereinze-
lung), sie werden nicht eingekürzt
(Rückschnitt, Anschnitt). Ebenso
verfährt man mit den Ästen, die sich
weiter unten (innen) befinden.
Bei Seitenverzweigungen, die nicht
entfernt werden, wendet man das
Prinzip des Schlankschnitts auch in-
nerhalb dieser Seitenverzweigungen
selbst an. Mit der Intensität des
Schnitts kann die hierarchische Po-
Bei der Technik des Schlankschnitts handelt es sich um eine spezielle Form eines Auslichtungsschnitts, der sich
günstig auf einen Obstbaum auswirkt, zum Beispiel auf dessen Vitalität, Stabilität und Nutzbarkeit. Dabei werden
gezielt baumeigene Steuerungsmechanismen eingesetzt. Von Gerhard Weyers
Zentrales Element
einer funktionalen Baumpflege
bei großkronigen Obstbäumen
Baumpflege
Praxis
kletterblatt 2015
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