Ausgewählte Wirkmechanismen
Einfluss auf den Ort und
die Höhe der Auxin-Produktion
Das „Schlank Schneiden“ macht sich
einen mit der Apikaldominanz ver-
bundenenRegelmechanismus zunut-
ze. Im Idealfall sorgt die oberste und
äußerste Spitze eines Triebes, Astes
oder Baumes dafür, dass sie dieDomi-
nanz behält. Dies funktioniert bei vie-
len einheimischen Nadelbäumen
(z. B. Fichte, Tanne, Lärche) sehr gut.
Bei Obstbäumen ist die Apikaldomi-
nanz mit Einschränkungen bei der
Süßkirsche und bei einigen Birnen-
sorten ebenfalls häufig zu beobach-
ten. Vor allem beim Apfel ist sie fast
nie genügend ausgeprägt.
Bei der Apikaldominanz sind Auxine
(z. B. Indol-3-Essigsäure) nicht die
einzigen, aber die wichtigsten unter
den regulierenden Substanzen
(Friedrich/Fischer, 2000). Diese
Pflanzenhormone werden in jungen
Blättern der wachsenden Triebspit-
zenund inwachsendenFrüchtenpro-
duziert und sorgen dafür, dass diese
gutmitMineralstoffen undAssimila-
ten versorgt werden. Dies wird auch
dadurch unterstützt, dass das Hor-
mon indirekt die Ausbildung oder
Entwicklung der nachgeordneten
Knospen oder Triebe hemmt. Dies be-
deutet, dass der Austrieb aus einer
nachgeordneten, weiter innen liegen-
den Knospe relativ schwach ist oder
dass eine Knospe erst gar nicht aus-
treibt.
Beim Schlankschnitt wird die Zahl
der Triebe/Äste imAußenbereich des
Astes/Baumes deutlich vermindert.
Dadurch verringert sich die Zahl der
wachsenden Triebspitzen, weshalb
die Orte stärkeren Wachstums zah-
lenmäßig begrenzt werden. Während
an den ausgewählten Orten, an den
herausgestellten Spitzen, dasWachs-
tum gefördert wird, vermindert sich
imAußenbereich insgesamt die Neu-
bildung von Trieben und damit das
Wachstum, weil imNahbereich einer
wachsenden Triebspitze die Ausbil-
dung von (Seiten-)Trieben durch Au-
xin gehemmt wird.
Die hemmende Wirkung des Auxins
stellt sich erst ab einer bestimmten
Höhe der Konzentration ein und sorgt
dann für eine relative Verminderung
des Triebwachstums. Dagegen be-
wirkt diese Schnittmethode bei
schwach wachsenden Bäumen durch
eine maßvoll erhöhte Auxin-Produk-
tion eine Anregung der Triebbildung,
was sich günstig auf die Wurzel-,
Blatt-, und Triebbildung auswirkt.
Auch auf die Blütenbildung hat die
Stärke der Auxin-Produktion neben
weiteren Faktoren direkt und indi-
rekt einen großen Einfluss. Je nach
Zustand des Baumes ist eine Erhö-
hung (beim vergreisten Baum) oder
eine Verminderung der Hormonkon-
zentration (beim stark wachsenden
Baum) günstig für die Blühinduktion
und dieweitereFörderung der Blüten-
knospen. Der Schlankschnitt wirkt
sich ausgleichend auf die produzierte
Menge an Auxin und anderen Hor-
monen aus und führt zu einer guten
Versorgung des Baumes mit Assimi-
laten. Beides zusammen begünstigt
die Höhe und Regelmäßigkeit des
Fruchtertrags. Eine Regulierung der
Fr uchtba rkeit geschieht beim
Schlankschnitt, ohne dass die fruch-
tenden Teile des Baumes eine festge-
legteFormoder Lage vonÄstenhaben
müssen. Dies ist besonders bei Bäu-
menmit einemart- und sortentypisch
steilen Wuchs und starker Obersei-
tenförderung bedeutend.
Einfluss auf das
Auxin-Cytokinin-Verhältnis
Auxine sind teilweise Gegenspieler
der Cytokinine, die u. a. den Austrieb
der Knospen fördern (Heß, 2008). Der
Auxin-Gehalt im Baum nimmt mit
zunehmender Entfernung von den
wachsenden Triebspitzen ab. Da zu-
dem die Menge an Auxin produzie-
renden Triebspitzen verringert wird,
sind Knospen, die weiter von Trieb-
spitzen entfernt sind, weniger ge-
hemmt und treiben deswegen häufig
aus. Auf diese Art begrünt sich ein
Baum, der schlank geschnitten wird,
im inneren undmittleren Bereich der
Krone besonders in Jahrenmit gerin-
gem Fruchtertrag. Selbst ruhende
Abb. 3
I
Mit Spitze konkurrierende Seitenäste
mittig/unten entfernen (4). Seitenverzweigung (5)
ggf. schlank schneiden/leicht absetzen.
Konkurrenzsituation an Seitenästen auflösen (6).
Abb. 4
I
Dünnere, sehr steile Äste durch Abbiegen
o. Einflechten unter benachbarte Äste flacher
stellen (7). Wegschneiden erübrigt sich,
Blatt- u. Fruchtmasse bleiben erhalten.
Baumpflege
Praxis
kletterblatt 2015
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