Kletterblatt 2012 - page 81

gungstherapie (KBT) vergleichbar. Bei Karcher/
Tschiesche-Zimmermann heißt es, die „bewusste
Körperwahrnehmung im ‚Hier und Jetzt’ stehe in der
KBT auf demHintergrund der individuellen Lebens-
und Lerngeschichte im Mittelpunkt“ (S. 126). Ent-
sprechendes gilt für das hK, in dessen Mittelpunkt
die bewusste Körperwahrnehmung im ‚Hier und
Jetzt‘ einerseits und in dieser die Auseinanderset-
zungmit demPhänomen Baumsteht. Es geht darum,
über die körperlich strapaziöse Auseinandersetzung
mit dem Baum auf mehreren Ebenen das auszublen-
den, was denKlienten von einer unmittelbarenSelbst-
und Umweltwahrnehmung abhält. Eine dieser Ebe-
nen wäre bspw. die somatisch habituelle: die enorme
Konzentration, die das Klettern fordert, soll den Kli-
enten von seinen ‚Sorgen’ ablenken und es ihmermög-
lichen, sich, den eigenen Atem, die verschiedenen
Eindrücke die der Baummitteilt, das Wetter etc. etc.
wahrzunehmen. Beim hK ist also ebenso wie bei der
KBT die leibliche und die kognitive (Neu)erfahrung
Grundlage des therapeutischen Prozesses. (S. 126)
Von der Auffassung der Rolle des Therapeuten, wie
sie dort dargestellt ist, unterscheidet sich das hK hin-
sichtlich der Frage nach der „therapeutischen Bear-
beitung“ (S. 127)
Bei Weber heißt es: „Das wichtigste Handwerkszeug
des Therapeuten ist sein Selbst, in Verbindung mit
der Fähigkeit zwischen eigenenGefühlen und denen,
die der Klient auslöst zu differenzieren. Die Beobach-
tung und Reflektion dieser intersubjektiven Relati-
onen ist eine zentrale Quelle für das therapeutische
Handeln und Intervenieren.“ (Weber, S. 221)
Bezüglich der Gestaltungstherapie schreiben Kar-
cher/Tschiesche-Zimmermann: „Die bildhafte Ge-
staltung ist Abbild des Beziehungsgeschehens inner-
halb des therapeutischenRaumes. Der Entstehungs-
prozess des Bildes, die Formund Struktur wird somit
Ausdrucksträger der psychischen Innenwelt des Pa-
tienten. Diesewird durch dasMediumder bildhaften
Gestaltung sichtbar und dadurch einer therapeu-
tischen Bearbeitung zugänglich gemacht.“ (S. 127)
Die Rolle des Therapeuten beimhK besteht in einer
Anleitung zu eigenverantwortlichemHandeln, wobei
zunächst sicherlich die unterstützende Hilfestellung
notwenig seinwird. DieseHilfestellungwird vonAn-
fang an denCharakter einer Kooperation haben. Eine
therapeutische Intervention, bzw. eine Bearbeitung
der psychischen Innenwelt des Klienten ist, unbe-
schadet anderer therapeutischer Ansätze und Ziel-
setzungen, bei dieser Therapieformnicht angestrebt.
Der Trainer wird mit persönlicher Sensibiltät und
vor dem Hintergrund seiner Erfahrung an und mit
Bäumen denKlienten in Stand setzen, sich selber frei
in zunächst einemBaum, in der Folge auch inmehre-
ren Bäumen zu bewegen. EinWechselspiel zwischen
Trainer und Klient wird auch stattfinden und zu be-
obachten und zu bedenken sein, der therapeutische
Prozess aber, für den der Trainer in der Hauptsache
anleitende Funktion hat, soll in der Auseinanderset-
zung des kletternden Klienten mit sich, seinen Kräf-
ten, in der Erfahrung derMühen undAnstrengungen,
sowie in der Auseinandersetzungmit demBaumund
dessen Umfeld stattfinden.
UmsichdasGesagte plausibel zumachen, stelleman
sich vor, was es bedeutet, bzw. was man erlebt, wenn
man nach großenAnstrengungen und einem tagelan-
gen Vorlauf endlich dazu gelangt ist, bei strahlendem
Sonnenschein imoberenDrittel der Krone einer aus-
gewachsenen Blutbuche zu hängen bzw. (beim Klet-
tern in Bäumen nimmt der Baum über ein Seil das
ganze Körpergewicht des Kletterers auf) zu stehen.
Was ist und was bringt Klettern in Bäumen?
Das Klettern in Bäumen unter Anwendung der
Doppelseiltechnik mit Kurzsicherung, wie sie in der
professionellen Baumpflege angewandt wird, stellt,
ausreichende Fachkenntnis vorausgesetzt, eine aus-
gesprochen sichere Möglichkeit dar, sich frei in Bäu-
men zu bewegen. Der Kletternde ist andauernd über
ein Seil, sowie in einer Arbeitsposition außerdemzu-
sätzlich über eine Kurzsicherung abgesichert. Das
Klettern in Bäumen ist eine anstrengende und äu-
ßerst befriedigende Angelegenheit, die körperliche
Fitness, Konzentration und eine klareWahrnehmung
der Situation, der eigenen körperlichen und geistigen
Befindlichkeit, der örtlichen und räumlichen Gege-
benheiten und sonstiger Begleitumstände erfordert.
Als Therapieform einsetzbar wird das Klettern in
Bäumen, weil das Klettern zugleich – von Anfang an
– diese Eigenschaften, bzw. Fähigkeiten einübt und
trainiert.Wer in einigermaßen regelmäßigenAbstän-
den in Bäumen klettert, wird geschult in der Wahr-
nehmung des eigenen Körpers. Seine kognitiven Fä-
higkeitenwerdenmassiv gefördert unddie körperliche
Fitness nimmt deutlich und deutlich wahrnehmbar
zu. Zudem ist das Klettern mit eindeutigen und tief
greifenden positiven Erlebnissen, die der Kletternde
seiner eigenenMühe verdankt, verbunden.
Das vorliegendeExposé aus 2004warHerrnKeilson
bekannt; ich habe es mehrfach mit ihm besprochen.
Herr Keilson war erst skeptisch, dann kritisch und
dann wieder skeptisch und die zentrale Anmerkung,
die er mir mitgab, war die Frage, was machen sie,
wenn ihr Klient absichtlich zu seinem Schaden den
Karabinier löst? Zugleich sagte er aber auch er er-
warte, dass das heiltherapeutische Klettern bei Fol-
teropfern und auch bei Patienten mit schweren Pho-
bien schneller zu positiven Therapieergebnissen füh-
ren könne, als eine psychoanalytische Therapie.
Außer auf die körperliche Ertüchtigung, diemit dem
Klettern einhergeht, möchte ich hier, mit Blick
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