Der Wurfhaken in der Seilklettertechnik – Ich glaube, es hakt?!

In unserem Lernprozess sollten wir stets offen für Neuerungen bleiben und selbst herausfinden, was zu uns passt und wie wir uns einen ergonomischen Vorteil verschaffen. Doch egal mit welcher Technik oder Neuerung wir es zu tun haben: Alles hat Vor- und Nachteile. Ich versuche immer ein Bewusstsein zu fördern, dass es kein „universelles non plus ultra“ in der Klettertechnik gibt. Ein Kletterstil ist immer von vielen individuellen Bedürfnissen beeinflusst und daher ist nicht jede Technik für alle geeignet. Wurfhaken gehören mitunter zu sehr polarisierenden Geräten, die stellenweise übertrieben gefeiert oder zu kritisch hinterfragt werden.

Ist er für Dich also wie selbstverständlich immer am Gurt, stellen sich Deine Nackenhaare schon bei dem bloßen Gedanken an einem Haken zu hängen auf oder ist da einfach die Frage, ob so ein Haken überhaupt notwendig ist?

Nichts Praktisches ist nur durch ein paar Zeilen Text zu vermitteln. Daher liegt es an Dir, meine Vorschläge mit anderen wurfhakenerfahrenen Kolleg*innen zu hinterfragen und selbst in der Praxis auszuprobieren. Soweit das in der Kürze eines Artikels geht, möchte ich Dir einige sinnvolle Anwendungsbereiche eines Wurfhakens vorstellen und Ansätze für einen sicheren Umgang mit auf den Weg geben.

Wofür taugt ein Wurfhaken eigentlich?

In Kombination mit einem ausreichend tragfähigen Seil kann ein gut platzierter Wurfhaken viele Funktionen in der Seilklettertechnik übernehmen. Darüber hinaus agiert er aber auch als verlängerter Arm oder sogar als Ersatz der Stangensäge. Er ist also eine enorme Erweiterung der „Trick-Kiste“ im Kletteralltag und auch für mich nicht mehr wegzudenken:

Der Überstieg:
Ob zwischen zwei Stämmlingen oder zwischen Bäumen, der Kletterweg zwischen den beiden Ankerpunkten ist oft mit zweimal Einbauen vom Boden oder langen Kletterstrecken und mühseligen Wechselaufstiegen verbunden. Mit einem Wurfhaken kann ein Seil im Zielbaum/-stämmling eingebracht werden und zum Beispiel mit Methoden aus der Einfachseil-Technik (SRT) direkt erreicht werden.

Die dritte Hand:
Im Außenastbereich wird oft alles wackliger oder der Weg hinaus ist mangels Halt bietender Seitentriebe und/oder flachem Seilwinkel sehr schwer. Ein Wurfhaken, in einen parallelen, etwas höherem Ast oder in den äußeren Astbereich vorgeworfen, kann zusätzlichen Halt bei schwierigen Kletterbewegungen bieten. Der Haken kann dafür auch auf einem Ende der Kurzsicherung verwendet werden.

Das zusätzliche System:
Schon beim Einbau oder auch während des Arbeitsgangs können Wurfhaken am langen, unabhängigen Seil im Baum platziert werden und dort auf ihren Einsatz warten. Ob als vorausgeplanter Überstieg oder zusätzliche Positionierung: Sie sind eine wertvolle Ergänzung für eine komplexe Routenplanung im Baum.

Die Rücktraverse:
Diese möchte ich mehr der Vollständigkeit halber erwähnen: Alle Klettertechniken in eine Richtung funktionieren auch zurück, also weg vom Haken. Hier ist oft der Ausbau des Wurfhakens aus der Ferne eine knifflige Übung, die nicht alle gern in ihren Flow einbauen. Aber es geht.

Der Stangensägen-Ersatz:
Viele tote Äste, die wir entnehmen müssen, lassen sich leicht ausbrechen. Sind sie außer Reichweite und nur mit erheblichem Aufwand zu erreichen, dient oft die Stangensäge als praktische Lösung. An deren Stelle versuche ich solche Äste immer zuerst mit dem Haken zu entnehmen. Meist funktioniert das auch gut und erspart mir sowohl Zeit, als auch viel Abmühen mit der Stange.

Der SRT-Umlenkungs-Ausbau aka Pull-Back-Variante:
Wenn Du auch SRT kletterst, entfaltet der Haken eine weitere Fähigkeit für Dich: Dem Ausbau natürlicher Umlenkungen von unterhalb oder gar vom Boden aus. Egal, ob die Umlenkung schon während des Kletterns ausgebaut werden soll oder nur, weil sie beim Abziehen zu viel Reibung verursacht und der Seilausbau ins Stocken gerät: Mit einer Wurfschnur oder einem Seil den Wurfhaken über das horizontal verlaufende Seil (zwischen Ankerpunkt und Umlenkung) werfen und mit dem Haken in einer Bucht nach unten ziehen. Dann das Seilende durchziehen. Was das an Kletterarbeit ersparen kann!

Das Wurfgewicht:
Beim Vorwerfen von Seilen oder Kurzsicherungen fehlt oft etwas Gewicht. Dieses kann ein Wurfbeutel oder eben ein Wurfhaken aufbringen, um gezielter zu werfen oder ein Herunterrutschen des Seiles durch die mühevoll getroffene Gabel zu garantieren.

Sicher gibt es noch eine Menge mehr Möglichkeiten, wozu dieses Gerät taugt. Allein sieben Optionen mit einem Gerät zu bekommen, sind sieben gute Gründe, um einen Haken so gut wie immer am Gurt mitzuführen.

Und wo liegt der Haken? Gefahren bei der Anwendung

Wie immer im Leben und vor allem bei der Arbeit im Baum, sollten wir stets bei allem, was wir tun, eine Gefährdungsermittlung machen. „Ist das sicher, was ich da gerade tue?“ ist eine Frage, die wir uns gar nicht oft genug stellen können.

Der Wurfhaken bietet bei seinem Transport und seiner Anwendung (sowohl als Wurfgewicht, als auch als Hilfsankerpunkt) ein paar Tücken, derer wir uns bei diesem Check stets bewusst sein müssen, damit er sein Potential sicher entfalten kann.

Generell gilt: Ein Haken ist niemals die alleinige Sicherung im Baum! Wird durch das Klettern am Haken der Seilwinkel des Klettersystems zu flach, muss z. B. mit einer Kurzsicherung zusätzlich eine vollwertige Sicherung geschaffen werden. Ein Haken dient somit immer nur als unterstützendes System, um Sicherheit und Ergonomie zu verbessern. Ähnlich wie bei der Ankerpunktauswahl für den Einbau in den Baum dürfen wir hier nie zu risikofreudig werden!

Transport am Gurt:
• Falsch am Gurt getragen verhakt sich ein Haken gern. Logisch, denn das ist seine Lieblingsaufgabe! Das kann aber zu böser Stolperei oder gar Stürzen führen. Häng den Haken deshalb immer nach unten offen an den Gurt, verschließe seine Hakenöffnung (wenn möglich) oder packe ihn in eine eigene Tasche für den Transport.
• Ein Haken wiegt schon einiges und ein fallender Haken bleibt nicht immer hängen. Parke ihn sicher am Gurt und zwar nicht nur in einem Schnapper: Das geht irgendwann schief! Abgesehen davon ist ein verlorener, nicht wiedergefundener Haken auch echt ein teurer Verlust (glaub mir, ein paar traurige Erfahrungsberichte gibt es schon)!

Beim Werfen:
• Achte auf Deinen Körper! Ein zurückgezogener Haken kann unter anderem blaue Augen, Platzwunden und Löcher in der hübschen Zahnreihe verursachen. Du kennst das vom Karabiner an der Kurzsicherung. Und ein Visier schützt Deine Schultern nicht. Aufpassen und keine ruckartigen Bewegungen sorgen für mehr Harmonie.
• Sichere das Seilende! Ein gut geworfener Haken hilft nichts, wenn Du etwas überrascht dem Seilende zusiehst, wie es munter hinterher fliegt. Mehr muss ich dazu nicht sagen.
• Nicht jeder Wurf ist ein Treffer. Ein Verhaken im Geäst lässt sich also nicht ausschließen. Mache Dir vorher klar, wo Du hinwirfst und ob Du den Punkt zur Not auch anders erreichen kannst, um Deinen Haken zu bergen. Übe daher auch das „Aushaken“ und „Drehen“ des Hakens (durch Zwirbeln am Seil,) um den Haken auch in der Ferne gut kontrollieren zu können.

Nutzung am unabhängigen Seil oder am Seilende des Klettersystems/der Kurzsicherung?
• Nutzt Du den Haken mit einem extra Seil, schleppst Du zusätzliches Gewicht und schaffst eventuell mehr Seilchaos im Baum. Dafür bleibst Du stets unabhängig. Die Anwendung des Hakens auf dem Seilende Deines Systems oder auf dem freien Ende der Kurzsicherung ist schnell zur Hand und braucht dafür kein zusätzliches Material, doch kann ein „Verhaken“ den Tag schnell unangenehm machen und bis zur Bewegungsunfähigkeit führen! Achte darauf, dass eine Selbstrettung immer möglich bleibt.

Als Ankerpunkt:
• Setzt Du mit einem Haken einen neuen Anker, musst Du sicher sein, dass der ausgewählte Baum/Stämmling auch stand- und bruchsicher ist. Oben im Baum geraten solche Kontrollen schnell in Vergessenheit. Ohne diesen Check werden Überstiege lebensgefährlich!
• Das Gleiche gilt für die ausgewählte Astgabel. Diese sollte zudem einen stabilen, umfassenden Sitz des Hakens (nicht zu groß und nicht zu klein) gewährleisten. Sie sollen ihn aber auch nicht festzwängen, falls Du Dich davon befreien musst. Sitzt ein Haken nicht sauber, wirf ihn neu! Ein Herausrutschen, Ausbrechen oder Abspringen muss unter allen Umständen ausgeschlossen sein!
• Die Kontrolle der Hakenposition ist auch während der Bewegung zwingend nötig! Veränderte Seilwinkel führen dazu, dass Haken sich bewegen und aus stabilen Positionen herausrutschen können! Das ist aber vorhersehbar und kann rechtzeitig vermieden werden. Behalte einen belasteten Haken stets im Auge!
• „Aufhaken“ vs. „Abwürgen“ und „Unterhaken“: Zusätzliche Sicherheit kann auch durch ein Abwürgen (voll umschließende Installation) oder das Unterhaken eines Hakens erreicht werden. Vor allem bei einem Überstieg in Nadelbäumen (z. B. in der Zapfenernte) ist das Unterhaken oft die einzige Möglichkeit für eine sichere Installation, da so ein Abrutschen des Hakens auf den leicht nach unten hängenden Seitenästen vermieden werden kann.

Diese Liste ist sicher unvollständig!

Welche Haken gibt es und wo liegen die Unterschiede – Testbericht kommt!

Das Sortiment an Wurfhaken ist in den letzten Jahren ziemlich überraschend angestiegen. Neben dem gelben, mittlerweile aus den Katalogen verschwundenen Klassiker aus Stahl und der schon deutlich ausgefeilteren Variante von Ronnie Epple haben Tim Schröder mit dem Approach und ThompsonTreetools mit dem Bennett Hook neue Ideen verwirklicht. Und spätestens als DMM mit dem wundervollen Wortspiel aus Peter Pan den Captain Hook auf den Markt brachten, waren plötzlich vier speziell für die Baumpflege entwickelte Geräte erhältlich. Damit war immer noch kein Ende in Sicht und Christian Wolf brachte dann noch zwei spannende Variationen ins Spiel: den Clawfinger, ein eingespleißter Haken ohne klobige Verbindung direkt am langen Seil oder auch als kurze Variante.

Alle Haken machen ihren Job und sie machen ihn gut. Aktuell teste ich die fünf erhältlichen Haken auf Herz und Nieren.

Interessierst Du Dich für Flaschenzüge? Ausführliche Informationen findest Du in meinem Buch „I like to move it“.

Damit wünsche ich Dir auch weiterhin viel Freude am Seil und im Baum. Auf meinem Blog erfährst Du bis zum Ende des Jahres 2020 mehr zu diesem Thema.

Euer Muck

Der Autor: Muck (Mathias Oppolzer) B.Sc. Geographie und Gartenbauwissenschaften, freiberuflicher Baumpfleger, Ausbilder für Seilzugangstechniken und SKT B, Graphikdesign und Entwicklung von Schulungsmaterialien für Kletteranwendungen, einer der beiden Autoren des Flaschenzug-Fachbuchs: „I like to move it”