Kletterblatt 2004 - page 11

Interview
kletter
blatt
11
sen sein. Aber das mit dem Seemann ist gut. Da
kann ich ein paar Grundsätze der Baumkletterei
erklären. Natürlich ist es eine gigantische Leis-
tung, sich im Sturm vor Kap Hoorn auf einem
Segelschiff in 60 Meter Höhe auf der Rah zu be-
wegen. Aber ein Baum mit seiner komplizierten
dreidimensionalen Struktur verlangt ein ganz
anderes Klettern. Und außerdem gehen wir beim
Sturm nicht in die Bäume und eine Sicherung ist
bei uns Pflicht. Man muss also weder verrückt
sein, noch ist man Exot. Bergsportler haben si-
cherlich leichte Vorteile, doch zeigt die Erfahrung,
dass Bergkletterer komplett umlernen müssen.
Bei mir war es der Trieb, Bäume zu schneiden.
Ich kam oft nicht dorthin, wo ich eigentlich
schneiden wollte und musste entweder Kompro-
misse machen, oder mir was Verrücktes, meist
auch Gefährliches einfallen lassen. Irgendwann
habe ich dann von einem Kletterkurs erfahren
und diesen mitgemacht. Ursprünglich hatte ich
enorme Höhenangst.
Moment, habe ich das richtig verstanden,
Höhenangst?
Ja, richtig Höhenangst. Einzig mein Drang,
Bäume zu schneiden, hat mich nach oben ge-
bracht. Früher habe ich oft mehr Schweiß durch
Angst als durch Arbeit verloren. Dies hat sich
aber durch die Klettertechnik schnell gelegt.
Nach ca. 3 bis 4 Wochen, in denen ich täglich
in den Bäumen mit der Klettertechnik gearbeitet
hatte, war die Höhenangst plötzlich weg.
Kann also jeder Baumpfleger werden?
Der klassische und sinnvolle Weg ist sicherlich
die Herkunft aus einem grünen Berufszweig.
Aber es gibt viele Möglichkeiten, Baumpfleger
und Kletterer zu werden. Das wichtigste ist
meines Erachtens nicht, woher man kommt, son-
dern welche Ziele man sich steckt und wie kon-
sequent man diese verfolgt. Ich kenne einige
Beispiele, wo Schlosser, Bierbrauer, Kletterfreaks
und andere „Berufsfremde“ hervorragende
Baumpfleger geworden sind. Am Anfang hilft es
natürlich sehr, wenn Kenntnisse in Baumpflege
schon vorhanden sind. Denn ohne das Wissen
über Bäume kann es beim Klettern schnell ge-
fährlich werden oder man kann erheblichen
Flurschaden anrichten. Letztendlich ist es aber
nicht entscheidend, Defizite zu haben, sondern
dass man die Defizite angeht und sie beseitigt.
Wie bist Du dazu gekommen, eine Baumklet-
terschule zu gründen? Damals gab es schließ-
lich noch keine geregelten Vorschriften oder
Vorbilder?
Vorbilder gab es. Vor 10 Jahren gab es schon
Schulen in England und USA. Ich selbst habe
1996 eine private Baumpflegeschule aufgebaut,
in der Seminare mit namhaften Referenten zu
allen Themen der Baumpflege angeboten wur-
den. Für mich persönlich war schnell klar, dass
man als Schule einen hohen Qualitätsstandard,
wie ich ihn haben möchte, nicht erreichen kann,
wenn man nur ab und zu Ausbildung anbietet
und durchführt. Da mich die Kletterausbildung
schon immer besonders fasziniert hat, fiel mir
die Entscheidung, mich auf Kletterkurse zu kon-
zentrieren, nicht schwer. Deshalb habe ich 1999
die Klettertechnik als eigenständige Schule her-
ausgelöst und zusammen mit Bruno Erhart als
Mitinhaber und den anderen Ausbildern, die mir
damals zur Seite standen, die Münchner Baum-
kletterschule gegründet. Mit anderen Kursanbie-
tern, mit dem Fachverband für seilunterstützte
Arbeitstechniken und im ständigen Austausch
mit vielen erfahrenen Kletterern aus dem In-
und Ausland haben wir ein Ausbildungskonzept
entwickelt. Dies wird permanent weiterent-
wickelt, überprüft, an die sich verändernden Be-
dingungen angepasst und ständig verbessert.
Gerade in unserem Bereich wäre ein Stillstand
schon ein Rückschritt.
Als die Berufsgenossenschaft 2001 die heute
gültigen Richtlinien neu erstellt und herausge-
geben hat, war es für uns eine schöne Anerken-
nung, dass sich unser Konzept in diesen Vorga-
ben fast vollständig widerspiegelte. Ende 2001
wurden wir dann als erste Schule von der Be-
rufsgenossenschaft geprüft und akkreditiert.
Das ist doch nicht schlecht, oder?
Ja, nicht schlecht, ein Start aus der Polepo-
sition. Ihr habt wöchentlich Kurse. Ich gehe
davon aus, dass Du nicht jeden Kurs selbst
machst. Wie werden deine Vorstellungen
umgesetzt, wenn Du nicht dabei bist?
Es stimmt. Wir haben 2003 fast jede Woche ir-
gendwo in Deutschland einen Kurs veranstaltet,
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,...72
Powered by FlippingBook