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Ohne Abstieg von Baum zu Baum: Traversieren

Sich horizontal von Baum zu Baum zu bewegen bzw. zu traversieren, das ist eine Art des Baumkletterns, die im Alltagsgeschäft der meisten Baumpfleger eher selten angewendet wird. Wer sich aber die Zeit nimmt, sich die Geheimnisse des Traversierens anzueignen, wird feststellen, dass er seine Routen grundsätzlich anders plant und Querungen häufiger als gedacht anwenden wird. Im besten Fall spart Traversieren vertikale Bewegungen und ermöglicht eleganteres Klettern. Allerdings können Querungstechniken bei zu wenig Übung frustrierend und Angst einflößend sein. Dieser Artikel soll einige der Anfängerfehler aufzeigen und dabei behilflich sein, Traversiermethoden ohne den Part des Irrtums aus „trial and error“ zu meistern. Will Koomjian hat in den Aborist News die verschiedenen Methoden des Traversierens vorgestellt und beschrieben.

Traversieren ist in einigen Situationen sinnvoller als in anderen. So ist es für Kletterer bei hohen, engstehenden Bäumen nützlicher als in niedrigen, breitkronigen Bäumen. Bäume, die sich zum Traversieren eignen, sind Pappeln, Liriodendron (Tulpenbaum), Eukalyptus, Dipterocarpaceae (Flügelfruchtgewächse) und die meisten Koniferen. In Mitteleuropa sieht die Situation natürlich etwas anders aus. Querungen von Nadelbäumen haben den zusätzlichen Vorteil einer besseren Einsichtbarkeit des Ankeroder Verbindungspunktes, was bei Bäumen mit dichter Krone und herunterhängenden Ästen eine permanente Herausforderung darstellt.

Im Frühling 2011 wurde vom Autor (Will Koomjian) mit seinem Kletterkollegen Brian French eine fünftägige Klettertour ohne Bodenberührung in einem Bestand aus Oregon-Eichen (Quercus garryana) durchgeführt, um mit einer Filmcrew die Abenteuerdokumentation Treeverse zu erstellen. Mehrere Baumlücken von teils über 100 Fuß (30,5 Meter) wurden mittels Wurfbeuteln, ohne Hilfsmittel wie Schleudern oder Armbrüste, überwunden. Unnötig zu sagen, dass viele Stunden damit verbracht wurden, bekannte gegenwärtige Techniken zu trainieren, um von einem Baum zum anderen zu klettern. Es wurden sogar noch eigene neu entwickelt. Während einige der angewandten Methoden nicht direkt auf das alltägliche Klettern übertragen werden können, ist es bei den meisten aber möglich. Die im Folgenden dargestellten Methoden sind nach Auffassung des Autors eine kurze Zusammenfassung der relevantesten Querungstechniken für den Arbeitskletterer.

Die Wurfhakentechnik (The Hook Method)
Die einfachsten Querungstechniken – vom Schwingen oder der Verwendung von Stangenwerkzeugen abgesehen – schließen die Benutzung spezieller Haken ein, um einen Ast im entfernten Baum zu greifen, damit sich der Kletterer entweder rüberziehen oder am Seil mittels SRT fortbewegen kann. Der Kletterer bleibt dabei im ursprünglichen Baum gesichert, bis er den Zielbaum erreicht hat, wo er sich mit seinem Halteseil kurzsichern kann und dann sein Kletterseil aus dem ersten Baum abzieht. Die zwei gebräuchlichsten Arten von Haken sind ein Einfach- oder Epple-Haken – benannt nach dem deutschen Baumpfleger Ronnie Epple – auch „Baumfänger Wurfhaken“ genannt und der Enterhaken. Einen aus beiden auszuwählen ist meist eine Frage persönlicher Vorlieben, wobei viele Kletterer darin übereinstimmen, dass der Epple-Haken besser bei Laubbäumen, der Enterhaken besser bei Nadelgehölz funktioniert. Der Epple-Haken hat noch einen weiteren Vorteil. Da er keine scharfen Kanten gegen die Rinde aufweist, verursacht er weniger Schaden am Baum.

Auf den ersten Blick, mag Klettern an einem Seil, welches am Baum nur durch einen Haken am Ast befestigt ist, geradezu abenteuerlich klingen. Mit Übung kann der Kletterer jedoch die erforderlichen Fähigkeiten entwickeln, wie die offensichtlichen und weniger offensichtlichen Risiken im Gebrauch von Haken zu meistern sind. Das größte Risiko ist ein sich lösender Haken, wenn der Kletterer nahe am Zielbaum ist, was einen ernsthaften Pendelsturz zum Startbaum verursachen kann. Es gibt kein Verfahren, wie man das im Schnelldurchgang lernen kann. Es braucht ziemlich lange, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was eine gute Platzierung ist und was nicht. Wer also vorhat, diese Werkzeuge zu nutzen, der sollte in einer ihm bekannten Umgebung üben, damit er sicher sein kann, dass ihm im Falle eines unerwarteten Schwungs nichts treffen kann.

Der wichtigste Gesichtspunkt (abgesehen von Aststärke, Befestigungstyp bzw. Anbindung, und all den anderen Dingen, auf die wir achten, wenn wir unseren Ankerpunkt auswählen) ist der Zugwinkel. Normalerweise wird der Haken horizontal zum Zielbaum geworfen und auch so durch Ziehen getestet. Allerdings wird die Zugrichtung mehr oder weniger vertikal, wenn man sich dem Zielbaum nähert. Entscheidend ist, dass die Verankerung beim Ändern der Zugrichtung nicht bricht oder sich löst. So etwas wird höchstwahrscheinlich passieren, wenn man am weitesten vom Ausgangsbaum entfernt und äußerst gefährdet ist.

Es gibt zu viele Feinheiten bei der Hakenplatzierung, um sie alle hier zu beschreiben. Aber bei ihrem Gebrauch gilt immer zu berücksichtigen, was passiert, wenn sich ein Haken löst. Ein Haken mag an dem Ort, an dem ein unerwarteter Schwung keine Probleme bereiten wird, eine gute Wahl sein. Aber wenn bei einem unerwarteten Schwung Gefahren durch Äste oder Gebäude drohen, dann ist eine sicherere Querungstechnik angebracht.

Beim Übergang an einem Haken muss das Kletterseil im Ausgangsbaum straff gehalten werden, da Schlaffseil bei versagender Befestigung den Pendelsturz verstärken würde. Obwohl es praktisch erscheint, einen am Ende des Kletterseils befestigten Haken zu werfen, ist es dringend empfohlen, ein separates Seil zu nehmen. Falls der Haken in unerwünschter Position stecken bleibt, wird auch das festgeklemmte Seilende unbrauchbar. Es dürfte nicht genügend Seil bleiben für den Rückzug oder um Gerätschaften vom Boden zu holen, was in der Tat eine sehr heikle Lage wäre. Diese Situation kann auch eintreten, wenn der Zielbaum erreicht wird und das Kletterseil sich beim Abziehen des Kambiumschoners aus dem Ausgangsbaum verklemmt.

Das Bodenankerverfahren (The Ground-Anchor Method)
Eine weitere schnelle und einfache Querungstechnik ist das Bodenankerverfahren. Dieses Verfahren ist in etwa genauso schnell wie die Wurfhakentechnik, aber noch sicherer. Jedoch ist man auf die Hilfe einer kompetenten Person am Boden angewiesen. Um einen Bodenanker in einem entfernten Baum einzurichten, nimmt der Kletterer das Ende eines Seils (eines, das lang genug ist den Boden zu erreichen und wiederum möglichst nicht das Ende des Kletterseils) und wirft es über einen Ast im Zielbaum. Es bieten sich Wurfbeutel, Affenfaust (schwerer Endknoten) oder auch Stahlkarabiner zum Werfen an. Wenn das Ende über dem angepeilten Ast ist, wird es mittels Gewicht nach unten geschnippt (geflippt). Unten angelangt, wird es vom Bodenmann am Zielbaum angeschlagen und der Kletterer kann mittels Einfachseiltechnik traversieren. Da die Verankerung am Zielbaum sicher ist, braucht sich der Kletterer nicht um eine straffe Verankerung im Ausgangsbaum kümmern, sondern kann diese, so bald er will, abziehen. Alternativ kann der Kletterer eine Wurfleine über die Astgabel im Zielbaum werfen und zum Boden laufen lassen, wo der Bodenmann ein an der Basis angeschlagenes Seil befestigt. Beim Einholen des Seils wird die Wurfleine wieder in ihr Behältnis verstaut.

Die Enterhakentechnik (The Grapnel Method)
Eine weitere sichere Traversiertechnik wird mittels Wurfleine und einem speziellen Mini-Enterhaken wie dem Yella Grapnel (New Tribe, Grants Pass, Oregon, U.S.) durchgeführt. Sobald sich der Wurfbeutel über dem Zielast befindet, wird ungefähr so viel Leine, der Horizontalstrecke zwischen Kletterer und Ast entsprechend, ausgegeben. Dazu kann ein Slip-knot als Markierung dienen. Der Haken wird an der Leine befestigt. Da er leichter als der Wurfbeutel ist, wird er zum Ast gezogen. Er wird aber gerade so weit absinken, um unter dem Ast das andere Ende der Wurfleine zu greifen, wobei der Kletterer dann beide Enden zurückholen kann. Sobald die Wurfleine durch ein Kletterseil ersetzt wurde, kann sich der Kletterer zum Zielbaum mit Doppelseiltechnik, Einzelseiltechnik oder Seilrutsche bewegen.

Mit ein wenig Übung wird sich diese Technik als sehr wirkungsvoll herausstellen. Sie funktioniert auch in dichtem Bewuchs. Es ist nur das Wurfgewicht den aktuellen Bedingungen anzupassen. Da zum Aufbau der Traverse eine Wurfleine verwendet wird, kann der Kletterer, ohne große Sorge hängen zu bleiben, das Ende seines Kletterseils benutzen.

Ein großer Nachteil der Enterhakentechnik ist, dass im Verhältnis zur horizontalen Distanz der Traverse die doppelte Vertikale (Höhe des Zielastes) benötigt wird. Falls der Wurfbeutel nämlich auf dem Boden aufkommt, kann er nicht mehr den Wurfhaken zum vorgesehenen Ast ziehen. Für diesen Fall gibt es glücklicherweise einen Spezialtrick. Allerdings hilft der nur, solange das Verhältnis von Höhe zur horizontalen Strecke mindestens 1/1 beträgt. Statt Wurfleine auszugeben und dann erst den Haken anzubringen, kann der Kletterer ihn gleich mittels HMS und Schlüsselkarabiner befestigen.

Eine zweite Abzugsleine – ein kurzes Stück ist hier ausreichend – befindet sich am Haken. Der Enterhaken wird wie oben erwähnt zum Ast geschickt und das andere Seilende wie gewohnt gegriffen. Beim Zurückholen der Leine muss an der Abzugsleine gezogen und die Hauptwurfleine ausgegeben werden, bevor der Wurfbeutel in den Haken gezogen wird. Da der Haken mit einem HMS-Knoten an der Hauptleine befestigt ist, wird er an der Leine gleiten bis beide Enden wieder im Anfangsbaum sind. Bei diesem Verfahren ist Handhabung von Wurfleinen entscheidend und es hilft einen Falteimer im Baum zu haben.

Die Pendeltechnik (The Pendulum Method)
Ein Verfahren, das sich als sehr leistungsfähig herausstellen kann ist die Pendeltechnik. Hier wird ein Wurfbeutel über einen Ast geworfen und eine Pendelbewegung zurück erzeugt. Mit genügend Übung ist es sogar möglich, ihn über einen Ast in die Nähe zu bekommen. In der passenden Situation, z. B. genügend Freiraum, um ein Pendel zu erzeugen, kann das sehr wirksam sein. Auch wenn man nicht in der Lage ist, die Leine ganz zurück zu bekommen, kann man sie, falls sie nahe genug kommt, mittels Stangenwerkzeug oder mit Klettern zum Wurfbeutel erreichen.

Eine Variante (die Angelmethode) ist eine zweite Abzugsleine mit Enterhaken, mit der nach der Hauptleine geworfen und zurückgezogen wird. Dies ist in Situationen, wo man die Wurfleine zwar zurück ins Blickfeld bekommt, aber physikalisch nicht erreichen kann. In Treeverse wurden mit der Fishing Technik (Angelmethode) mehrfach Traversen von über 100 Fuß (30,5 Meter) errichtet.

Montage der Traverse (Rigging the Traverse)
Mit all den sicheren Traversiertechniken, die hier besprochen wurden, hat der Kletterer nun die Wahl, festzulegen wie er das Seil nutzt, um in den Zielbaum zu gelangen: Zur Auswahl stehen doppelte Ankerpunkte oder eine Tiroler Traverse. Unter doppelten Ankerpunkten ist einfach die Nutzung beider Ankerpunkte im Ausgangs- und Zielbaum als getrennte Systeme gemeint. Im einen System wird Seil ausgegeben, während im anderen zum Zielbaum aufgestiegen wird. Doppelte Ankerpunkte sind in der Regel einfacher einzurichten, bieten die zusätzliche Sicherheit zweier unabhängiger Einbindungen und ermöglichen die Wahl zwischen Einzelund Doppelseiltechnik zum anvisierten Baum (die Nutzung von handelsüblichen, gezahnten Seilklemmen an nicht-vertikalen Seilen ist problematisch; Gebrauchsanleitung beachten). Da doppelte Ankerpunkte den Kletterer zwischen den Fixpunkten auf den Grund eines tiefen „V“ setzen, kann es sich in Situationen mit ausladend tiefbeasteten Bäumen als problematisch erweisen.

Die Tiroler Traverse hält den Kletterer auf einem Höhenlevel und so können Tiefäste vermieden und Kräfte gespart werden. Allerdings brauchen Seilrutschen länger zum Aufbauen und es gibt mehrere Varianten. Am einfachsten ist es, eine statische Rundschleife zu machen, welche mittels Behelfsflaschenzug gespannt und mit einem Karabiner verbunden wird. Gewicht an einem horizontal gespannten Seil kann jedoch exponentiell größere Belastungen an den Ankerpunkten verursachen. Es ist wichtig, daran zu denken, dass der Kletterer den Ankerpunkt im Zielbaum nicht prüfen kann und daher beim Bau einer Seilrutsche vorsichtig und vorausschauend sein muss.

Es wird allgemein empfohlen, nur so weit zu ziehen, bis der meiste Durchhang aus dem Seil ist, nicht weiter. Dies hilft, sicherzustellen, dass die Kräfte an den Fixpunkten angemessen bleiben und das Seil bewegt und abgebaut werden kann, sobald die Überquerung durchgeführt worden ist. Im Falle von Wind in den Baumkronen wird dadurch auch reichlich Bewegung gewährleistet.

Schlussfolgerungen
Diese Darstellung verschiedener Traversiertechniken hilft Ihnen hoffentlich dabei, Ihre Traversierfähigkeiten so weit zu entwickeln, dass Sie dieses wichtige und interessante Kletterwerkzeug in Ihre Klettertrickkiste packen können. Da die sichere Durchführung der hier beschriebenen Techniken jedoch angewandtes Wissen von Kräftevektoren bzw. Kräftediagrammen voraussetzt, sollten sie nicht von unerfahrenen Kletterern angewendet werden. Die Risiken, sich in Gefahr zu begeben, vervielfältigen sich nämlich, wenn Sie sich in den freien Raum zwischen den Bäumen begeben, wo eine Rettungsaktion extrem schwierig ist und Selbsthilfe eine ganz neue Herausforderung darstellt. Dieser Artikel bietet auch keine Anleitung über die Handhabung von Querungstechniken im Rahmen des Arbeitskletterns. Falls Sie diese Techniken beim Arbeitsklettern benutzen wollen, müssen Sie sich unbedingt über entsprechende Regelungen bezüglich Arbeitssicherheit kundig machen. Climb on!

Übersetzt aus dem Englischen von Heinrich Stengele, Forstingenieur und Verkaufsberater bei Freeworker sowie selbst schon in Garry Oaks auf Vancouver Island/Kanada geklettert.

Der Autor: Heinrich Stengele (E-Mail)
Dipl. Ing. Forstwirtschaft (FH)

 
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