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ie so oft gibt es dort, wo Licht
ist, auch Schatten, was hier
nichts anderes heißt, als dass neben
nützlichen Ideen auch solche geboren
werden, die imbestenFall unnütz und
im schlechtesten Fall gefährlich sind.
Ob eine Technik nun richtig oder
falsch, gut oder schlecht, beziehungs-
weise nützlich oder unnütz ist, hängt
bis zu einem gewissen Grad vom
Standpunkt der Betrachtung ab. Ich
selbst finde mich zu verschiedenen
Gelegenheiten auf drei zum Teil ge-
gensätzlichen Standpunktenwieder.
Ausbildung.
Als Ausbilder bin ich angehalten,
mich an die bestehenden Regeln zu
halten. Hier geht es sehr eng, aber da-
mit auch recht sicher zu. Folgt man
den Unfallverhütungsvorschriften,
ist das Risiko gering. Gerade dieKlet-
teranfänger brauchen ein solides,
überschaubares Grundgerüst für ihre
Arbeit. Basiswissen und ein geschlos-
senes Systemohne allzu vielemit un-
durchsichtigen Nebenbedingungen
verknüpfte Ausnahmen schaffen
mehr Sicherheit. Ein Lehrkonzept,
dessen Grundsätze überwiegend mit
„… eigentlich, aber …“-Konstruktionen
funktionieren, ist kein gutes Lehr-
konzept.
Anwendung.
Als kletternder Baumpfleger bin ich,
wie wohl fast alle Menschen, mit der
Motivation ausgestattet, meine Ar-
beit möglichst einfach oder eben be-
quem zu machen. Dieser Antrieb
führt in zwei Pfade: Ich ignoriere ei-
nerseits bestehende Regeln, weil ich
sie als Behinderung empfinde und an-
dererseits versuche ich, Techniken zu
verbessern und damit vielleicht Vor-
reiter für die Anpassung von Regeln
ich dann aber sehe, was auf einen jun-
genKletterer einstürzt undwie er ge-
zwungen ist, die schon über zehn Sta-
tionen transportierte Spreu vomWei-
zen zu trennen, bin ich nicht mehr so
sicher, ob der minimalistische Start
wirklich so schlecht war.
Der Aufstieg am stehenden Einfach-
seil und die noch recht junge SRT
(Single Rope Technique) bilden ein
Betätigungsfeld, auf dem in den letz-
ten Jahren sehr viel optimiert und
probiert wurde. Die Ergebnisse sind
noch lange nicht endgültig, haben
aber jetzt schon einen enormenSchub
ausgelöst. Die folgenden Ausfüh-
rungen sollen nicht unbedingt einen
komplettenÜberblick über die derzeit
angewendeten Techniken oder am
Markt befindlichen Ausrüstungsge-
genstände geben. Es soll vielmehr
eine Möglichkeit geschaffen werden,
die eigene Technik einordnen oder
verbessern zu können.
Wie ist ein Aufstiegssystem aufge-
baut und welche allgemeinen Regeln
gelten, nach denen man einschätzen
kann, ob das System tatsächlich si-
cher, richtig und geeignet ist? Die Be-
wegung und Positionierung an ste-
henden Seilen in Bäumen wurde im
Wesentlichen aus dem Industrieklet-
terbereich übernommen. Es fand je-
Systematik
der Stehendseilaufstiege
Die Klettertechnik hat im Bereich der Baumarbeiten in
den letzten zwei Jahrzehnten eine rasante Entwicklung
durchlaufen. Regeln und Standards sind in kurzen Abstän-
den geändert und angepasst worden und können trotz-
dem nur schwer mithalten, wenn man sich parallel dazu
die Erfindungen der Anwender und Hersteller betrachtet.
Bernhard Schütte beschreibt die Systematik von Stehend-
seilaufstiegen, wissend, wie schnell heute noch Aktuelles
schon morgen veraltet sein kann.
zu sein. Bevor ich meinen Posten als
Ausbilder in Gefahr bringe, will ich
betonen, dass ich den ersten Pfad fast
gar nicht kenne …
Meisterschaft.
Als Schiedsrichter aufMeisterschaf-
ten muss ich entscheiden, welche
Techniken imWettkampf verwendet
werden dürfen und welche ausge-
schlossen werden. Die Baumkletter-
meisterschaften sind schon immer
ein Motor des Fortschritts gewesen
und dementsprechend ist es beinahe
Programm, dortMaterialien inKom-
binationen zu sehen, deren Anwen-
dung im weitesten Sinne nicht be-
stimmungsgemäß ist. Auf Meister-
schaften kannmanmit Innovationen
sehr weit nach vorn kommen, aber
nur, wenn die Sicherheit des Klette-
rers gegeben ist.
Als ich meinen ersten Baumkletter-
kurs absolviert habe, war die SKT
noch sehr einfach strukturiert. Auf-
stieg amstehenden Seil gab esmit der
Fußklemmtechnik und dann wurde
mit einem langen Prusikknoten auf
dem umlaufenden Seil weitergeklet-
tert. Ich bin froh, dass es wenigstens
schon Ringkambiumschoner gab.
Manchmal bin ich ein bisschen nei-
disch darauf, was ein heutiger SKT-
Anfänger geboten bekommt. Wenn
Klemmknotensicherung
Eine aktuelle Bestandsanalyse
kletterblatt 2016
36
Technik
Aufstieg