kletterblatt 2010
        
        
          
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          einenhervorragendenZustandund
        
        
          eine hohe weitere Lebenserwar-
        
        
          tung. Als Stadtbaum dieser Größe
        
        
          war er wertvoll, bei den Menschen
        
        
          der Umgebung sehr beliebt. Kurz
        
        
          vor seiner geplanten Fällung be-
        
        
          setzten Aktivistinnen und Akti-
        
        
          visten von RobinWood den Baum.
        
        
          Bei zeitweilig 10 Grad unter Null
        
        
          lebten sie 35 Tage auf Plattformen,
        
        
          nur durch Planen vor demWetter
        
        
          geschützt. Anwohner brachtenTee,
        
        
          WärmflaschenundEssen imÜber-
        
        
          fluss. Nicht zuletzt wegen derwelt-
        
        
          weiten Bedeutung des Kulturerbes
        
        
          war dasMedienechogroß. Da riefen
        
        
          dannauchschonmal Zeitungenaus
        
        
          denUSAauf demBauminDresden
        
        
          an, um ein Interview zu machen.
        
        
          Als der Baumin einer Januarnacht
        
        
          vonSondereinsatzkräften geräumt
        
        
          und tags darauf gefällt wurde, gin-
        
        
          gen die Bilder umdieWelt.
        
        
          Am Frankfurter Flughafen wa-
        
        
          ren bereits bei der Auseinanderset-
        
        
          zung um die Startbahn-West in
        
        
          den 1980er JahrenWälder besetzt
        
        
          worden. Als im Jahr 2008 erneut
        
        
          300 ha geschützter Bannwald für
        
        
          eine neue Landebahn gefällt wer-
        
        
          den sollten, zogen wieder Men-
        
        
          schen in denWald. Diesmal ging es
        
        
          gleich in die Höhe. Plattformen
        
        
          undBaumhäuserwurdenerrichtet.
        
        
          Zahlreiche Seilbrücken verbanden
        
        
          sie zu einemDorf in denBaumkro-
        
        
          nen. Das Hüttendorf wurde zum
        
        
          Mittelpunkt der politischenAusei-
        
        
          nandersetzung umdie zusätzliche
        
        
          Landebahn. Viele Menschen ka-
        
        
          men zum Wochenendausflug in
        
        
          denWald. Manche blieben für län-
        
        
          ger. Insgesamt neun Monate war
        
        
          der Wald besetzt. Dass Anfang
        
        
          2009 auch diese Besetzung ge-
        
        
          räumt werden würde, war zu er-
        
        
          warten gewesen. Baumbesetzun-
        
        
          gen sind eine gewaltfreie Aktions-
        
        
          form, die viel aus ihrer Symbol-
        
        
          kraft und Öffentlichkeitswirkung
        
        
          gewinnt. Eine gewaltsame Vertei-
        
        
          digung der Bäume ist nicht das
        
        
          Ziel. Im Gegenteil kommt es dann
        
        
          schon eher mal vor, dass die Akti-
        
        
          visten den Polizeikräften Tipps
        
        
          zur Sicherung im Baum geben
        
        
          müssen, um eine Gefährdung bei-
        
        
          der Seiten zu vermeiden.
        
        
          Technisch hat sich das Aktions-
        
        
          klettern im Laufe vieler Jahre zu
        
        
          einer eigenenDisziplin entwickelt.
        
        
          Aus anderen Bereichen, von der
        
        
          Höhlenforschung bis zur Baum-
        
        
          pflege, wurden Methoden über-
        
        
          nommen und weiterentwickelt,
        
        
          wenn sie sicher und brauchbar
        
        
          genug waren. Der Schwerpunkt
        
        
          liegt auf Schnelligkeit, Flexibilität
        
        
          und geringemMaterialeinsatz.Wo
        
        
          andere auf spezielle und umfang-
        
        
          reiche Ausrüstung setzen, zählen
        
        
          beim Aktionsklettern die persön-
        
        
          lichenFertigkeiten, z.B. durchRet-
        
        
          tungstrainings unter Verwendung
        
        
          minimaler Ausrüstung. Die glei-
        
        
          chen Techniken werden auch bei
        
        
          anderen Aktionen, z.B. Transpa-
        
        
          rente an Gebäuden oder Brücken,
        
        
          erfolgreich eingesetzt.
        
        
          Trotz der einschränkenden Le-
        
        
          bensweise und der umfangreichen
        
        
          Vor- und Nachbereitung hat das
        
        
          Leben imBaumviel Positives. Zum
        
        
          Beispiel singen die Vögel, die einen
        
        
          morgens wecken, nicht nur über,
        
        
          sondern auch unter einem. Zum
        
        
          Frühstück kommt das Eichhörn-
        
        
          chen vorbei und schaut, ob es nicht
        
        
          Nüsse abbekommt.
        
        
          Nicht nur an den beiden bislang
        
        
          genannten Orten waren Leute auf
        
        
          den Bäumen aktiv. In Lüneburg
        
        
          und Stuttgart gab es Aktionen für
        
        
          Bäume, die Verkehrsprojekten ge-
        
        
          opfert werden sollten. In der Lau-
        
        
          sitz wurde ein ganzes Dorf vom
        
        
          Braunkohletagebau zerstört, die
        
        
          Menschen gingen auf die Bäume.
        
        
          Noch im Frühjahr 2010 sind im
        
        
          HamburgerGählerparkBäume be-
        
        
          setzt, die für ein neues, aber klima-
        
        
          schädliches Kohlekraftwerk ge-
        
        
          fällt werden sollen. Viele weitere
        
        
          Aktionen fanden und finden kurz-
        
        
          fristig statt. Als Aktionsform ge-
        
        
          winnt die Baumbesetzung immer
        
        
          mehr an Bedeutung.