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Mehr als eine Pflichtübung
Die baustellenbezogene Gefährdungsbeurteilung (GB). Hand aufs Herz: Wer macht auf der Baustelle eine schriftliche Gefährdungsbeurteilung? Es werden wohl eher weniger als mehr sein. Kommt es zu einem Unfall, fällt schnell der Satz: Hätte er/sie eine GB gemacht, wäre das nicht passiert. Stimmt das?
Vorab eine Bemerkung: Wenn eine Gefährdungsbeurteilung erstellt wird, „um aus dem Schneider zu sein“, wenn ein Unfall passiert, dann ist etwas grundsätzlich falsch verstanden worden. Denn es geht beim Verfassen einer GB darum, Verantwortung wahrzunehmen und nicht darum, sie abzugeben.
Die rechtliche Grundlage der GB findet sich im Arbeitsschutzgesetz, vor allem in den §§ 3 – 6 und 15 – 17. Es lohnt sich einmal nachzulesen, denn dort geht es nicht nur darum, auf der Baustelle einen Zettel auszufüllen. Vielmehr wird versucht, das Ziel der geringstmöglichen Gefährdung aller Beteiligten durch ein Gesamtpaket zu erreichen. Die GB ist dabei ein Baustein. Wenn wir das Gesamtpaket etwas vereinfachend auf eine Grafik reduzieren, könnte das so aussehen (Abb.):
Zum Arbeitnehmer:
Dieser Baustein beinhaltet die Möglichkeiten der Arbeitnehmer bzw. der ausführenden Personen. Wissen und Erfahrung, aber auch Tagesform und soziale Kompetenz sind wesentliche Elemente. Mir erscheint aber ein weiteres das Wichtigste zu sein: die Risikobereitschaft. Die beste GB hilft nichts, wenn der Ausführende seine Arbeit mit dem Satz „Wird schon passen!“ kommentiert und damit vor allem seinen Glauben an die eigene Unsterblichkeit zum Ausdruck bringt.
Zum Arbeitgeber:
Hier findet sich alles, was von betrieblicher Seite zur Verfügung gestellt wird: Werkzeug, Weiterbildungsmöglichkeiten und eine durchdachte Arbeitsorganisation, die versucht die Belange aller zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber will und soll Geld verdienen und der Grad zwischen Gutmütigkeit und Gier ist schmal.
Zum sozialen Gefüge:
Das ist wohl der heikelste Punkt, denn er ist schwer zu definieren und für sein Entstehen gibt es keine klare Betriebsanweisung. Alle Beteiligten tragen dazu bei, dass ein Raum entsteht, in dem auch der Praktikant dem Meister sagen kann, dass etwas nicht stimmt. Dazu sind flache Hierarchien, sozial kompetente Menschen, aber auch Zeit und Gelegenheit erforderlich. Dieser Raum entsteht immer wieder neu und bedarf einiger Pflege. In unserer Branche ist ein Mittel wie die Supervision sicherlich eher ungebräuchlich, aber es wäre oft gut investiertes Geld. Hier könnte z.B. eine systematische Fehleranalyse betrieben werden, die ohne Gesichtsverlust die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen auf den Prüfstand stellt und sowohl Betriebsanweisungen als auch die allgemeine Gefährdungsbeurteilung weiterentwickelt und fortschreibt.
Das o.g. Ziel der geringstmöglichen Gefährdung aller Beteiligten kann nur erreicht werden, wenn alle Bausteine um die GB herum ein geschlossenes und in sich verzahntes Gebilde darstellen. Je stärker und kräftiger die Bausteine „Arbeitgeber“, „Arbeitnehmer“ und „soziales Gefüge“ sind, desto kleiner kann die baustellenbezogene Gefährdungsbeurteilung werden. Soweit, dass sie sich nur noch auf wesentliche Punkte des Baustellengeschehens zu beschränken braucht:
– Planung der Arbeiten
– Planung der Rettung
– Erkennen der Gefahren (Baum, Baumumfeld, Arbeitsverfahren etc.)
– Festlegung der erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr
Das Gefährlichste sollte die Fahrt mit dem Auto zur Baustelle sein. Und auch da lässt sich bestimmt noch was machen.
Der Autor: Dirk Lingens Selbständiger Baumpfleger, Ausbilder der Münchner Baumkletterschule, Autor des Buches Baumknoten Weitere Informationen |
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