Klettern auf fernem Kontinent – Brasilien

2015 reiste Arnold Wienand nach Brasilien. Es gefiel ihm so gut, dass er beschloss, sein Praktikum für das Aboristikstudium in Brasilien zu machen. Die Suche nach einer Baumpflegefirma führte in nach Blumenau. Im November 2016 flog er nach Sao Paulo, baute bei seinem Vetter zwei dynamische Holtaukronensicherungen ein und erreichte einige Tage später Blumenau.

Blumenau ist eine von deutschen Aussiedlern gegründete Stadt im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina und liegt im Gebiet des atlantischen Regenwaldes, der vor Ankunft der Europäer ein ähnliches Ausmaß wie der Amazonas hatte. Heute sind 80 % der ehemaligen Urwaldfläche gerodet.

Nur noch einige ältere Einwohner in Blumenau sprechen Deutsch. Dafür gibt es noch Fachwerkarchitektur und ein als Vila Germânica bezeichnetes Festgelände, auf dem auch ein großes Oktoberfest gefeiert wird. Es ist das viertgrößte Oktoberfest der Welt und nach dem Karneval in Rio das zweitgrößte Volksfest Brasiliens. Im November erlebte ich gleich einen Weihnachtsmarkt mit Kunstschnee. Zunächst wurde ich im Haus des Chefs, Flavio, einquartiert, mit dem ich gleich an meinem ersten Arbeitstag – nachdem ich ein ärztliches Prozedere über mich ergehen hatte lassen – einen Eukalyptus fällte. Im späteren Arbeitsalltag haben wir circa 55 % Fällungen und 45 % Kronenschnitte durchgeführt. Kunden waren Privatleute, öffentliche Einrichtungen und Condominios. Das sind abgesicherte Wohnbereiche, mit an mittelalterliche Stadtmauern erinnernden Abgrenzungen. Bei der Pflege städtischer Bäume haben wir auch Aufsitzerpflanzen entfernt. Unter anderem waren dabei Bromelien, die wegen ihrer Größe und ihres Gewichts problematisch für die Bäume werden. Interessant ist, dass wir nicht nur brasilianische Palmen und Bäume, sondern auch Exoten aus Afrika, Indien, Australien und Nordamerika bearbeitet haben. Dort wachsen sogar dieselben Platanen und Sumpfzypressen wie in Deutschland.

Während meiner Praktikumszeit fanden die brasilianischen Baumklettermeisterschaften statt, weshalb Flavio und ich nach Belo Horizonte flogen, um dort als Organisatoren und Punktrichter mitzuwirken. Bei den Vorbereitungen haben wir die Bäume für die einzelnen Disziplinen eingerichtet. Das Masters der Meisterschaften wurde auf einem imposanten Ficus cestrifolia durchgeführt. Leider hatte der Baum größere Probleme mit einer Fliege, die die meisten Ficus cestrifolia in den Großstätten befällt und zum Absterben großer Kronenteile führt. Bei den Klettermeisterschaften hat es mich gestört, dass die Finalisten ohne Kambiumschoner mit DdRT aufgestiegen sind und dass bei der Rettungspuppe nicht der Oberkörper stabilisiert worden ist.

Danach war in Blumenau wieder Alltag. Hier hatte ich eine Begegnung mit einer Giftschlange, die sich bei einer zu fällenden Palme um den Stamm gelegt hatte und nicht wie erwartet beim Umfallen der Palme geflüchtet war. Als ich Flavio auf die Schlange aufmerksam machte sagte er mir, dass es sich um eine gefährliche Giftschlange handele. Ein Erkennungsmerkmal für die Giftigkeit ist der Kiefer, der deutlich breiter ist als der Rumpf. Außerdem gab es noch Probleme mit Lianen. Bei Fällungen ist es mir zweimal passiert, dass beim Absägen eines Kronenteiles die restliche Krone hinterher mit in die Tiefe gestürzt ist, weil die Kronenteile mit den Lianen verbunden waren. Und da gab es noch die Ameisen. Einmal wurde ich von Ameisen attackiert, deren Baum ich fällte. In den Tropen gibt es sogenannte Ameisenbäume, die mit Ameisen in Symbiose leben. Sie geben durch eine hohle Wuchsform und durch die Abgabe von Nährstoffen den Ameisen einen Lebensraum. Als Gegenleistung greifen die Ameisen ohne Rücksicht auf Verluste fast jeden Organismus an, der sich an den Baum ranmacht. Weiter hatte ich auch Probleme mit größeren Ameisen, die bevorzugt in Totholz und Faulstellen leben. Beim Abseilen eines Wipfels sind sie einmal tatsächlich auf mich losgegangen.

Bei einem Wochenendausflug begegnete mir noch ein Kuriosum. In einem Naturpark sah ich eine mir unbekannte Konifere mit einem Schild, auf dem der botanische Name Cunninghamia lanceolata und der portugiesische Name „Pinheiro alemão“, also deutsche Kiefer stand. Als Heimatland wurde tatsächlich Deutschland angegeben. Tatsächlich war es die aus Asien stammende Spießtanne. Wahrscheinlich wurden diese in der Region häufig vorkommenden immergrünen Spießtannen von deutschen Einwanderern gepflanzt, um etwas zu haben, das an einen schönen grünen Tannenbaum erinnert.

Am Ende des Praktikums verkaufte ich Flavio einen Rope Wrench, eine Bungeetool Kniesteigklemme, einen RopeGuide mit Cocoon, einen SpiderJack III, einen ZigZag und ein Halteseil mit Stahlkern und Positioner. Er war froh darüber, weil es in Brasilien sehr hohe Einfuhrzölle gibt. Mein Portugiesisch hatte sich inzwischen deutlich verbessert. Die Erfahrung allein in der Fremde zu sein, ohne richtig verstanden zu werden, machte es für mich jedoch nachvollziehbar, wie sich Einwanderer in Deutschland fühlen.

Nach meinem Praktikum reiste ich noch durch einige Gebiete dieses großartigen Landes. In Manaus faszinierte mich die Vielfalt des Obstanbaues. Aber es war erschreckend zu sehen, wie die Abholzung des Regenwaldes voranschreitet. Bald wird er wohl nur noch ein Flickenteppich sein. Hauptgrund für die Abholzung sind nicht illegaler Holzeinschlag, sondern Rodungen für Sojaanbau und Rinderzucht, für den Fleisch- und Milchkonsum in den reichen Industrieländern. Was bringt es Milch von deutschen Bauern zu kaufen, wenn die Kühe mit Sojafutter vom Amazonas gefüttert werden.

In Rio besuchte ich noch einen dreitägigen Kurs für Agroforstwirtschaft bei dem gezeigt wurde, wie man aus einer bodenschädlichen Monokultur eine vielfältige Mischkultur macht.

Ich war fast ein halbes Jahr in Brasilien. Jetzt kann ich mir vorstellen, auszuwandern, um wie mein Vetter in Sao Paulo auch einen Betrieb für Erlebnisklettern und vielleicht zusätzlich noch für Agroforstwirtschaft zu gründen.

Der Autor: Arnold Wienand Forstwirt, Arborist B. Sc.